: Staatsanwalt kanonierte Spatzen bei Nevroz-Demo
■ Demoleiter beim letzten Nevroz-Fest verhielt sich korrekt, urteilte jetzt das Bremer Amtsgericht / Verfahren wurde nach nur einer Stunde Verhandlung wegen Geringfügigkeit eingestellt / Verfahren „bißchen verrückt“
Eine Maulschelle vor allem für Bremens Staatsanwalt Uwe Picard: „Das war wohl alles ein bißchen hoch aufgehängt“, kommentierte gestern nach knapp einer Stunde Verhandlung Amtsrichter Klaus Richter und stellte das Verfahren auf Kosten der Staatskasse ein. Befreites Klatschen auf den überfüllten Rängen, auf denen sich viele Freunde des Angeklagten Armin Fritz Max Stolle drängten: Höchstselbst hatte Staatsanwalt Picard Stolle wegen „Verstoß' gegen das Versammlungsgesetz“ angezeigt, weil beim Nevroz-Fest vor einem Jahr die bunten Fahnen der PKK in den Himmel ragten.
Am 4. April 1998 feierten die Bremer Kurden ihr traditionelles Neujahrs-Fest mit einer Demonstration vor dem Schlachthof. Aufgerufen hatte der Kurdisch-Deutsche Solidaritätsverein, in dessen Beirat sich der Pensionär Armin Stolle engagierte. Mit einiger Demo-Erfahrung auf dem Buckel – machte Stolle den Versammlungsleiter und bekam die Auflage, PKK-Fahnen zu unterbinden. Das Fest verlief ruhig – Staatsanwalt Uwe Picard aber, der sich wie Stefan Luft, der Sprecher des Innensenators Ralf Borttscheller (CDU), persönlich zum Schlachthof bemüht hatte, sah Unziemliches am Werke: Die Ordner der Veranstaltung trugen statt weißer rote Armbinden und hier und da zeigte sich doch ein Öcalan oder eine PKK-Fahne. Anlaß genug, den 64jährigen Schulleiter a.D. Stolle vor den Kadi zu zitieren.
„Ich sehe einen Schuldnachweis erfüllt“, versuchte gestern vor dem Amtsgericht der zuständige Staatsanwalt Christian Baumgarte für seinen ehrgeizigen Kollegen in die Bresche zu springen. Der Richter aber winkte ab: „Wir wollen doch nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.“ Und auch der Verteidiger Stolles fand es „ein bißchen verrückt“ vom Versammlungsleiter die Auflösung einer Demo zu fordern, nur weil seine Ordner rote Armbänder trugen. Vorbildlich verhalten habe sich Stolle sogar: Mehrfach habe er gemeinsam mit der Polizei versucht, die zehn PKK-Fahnen, die wechselweise aufragten, zu unterbinden, ohne die Situation eskalieren zu lassen. Er habe sich „offensichtlich nicht durchsetzen können“, so der Richter, dies aber sei nicht strafbar.
Einen Monat nach Picards Anzeige gegen Stolle wurde übrigens der Kurdisch-Deutsche Solidaritätsverein verboten. Der Antrag auf Zulassung eines neuen kurdisch-deutschen Vereins soll derzeit dem Bremer Amtsgericht vorliegen. Und auch ein Nevroz-Fest soll es in diesem Frühjahr wieder geben. ritz
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