piwik no script img

Die asiatische Grippe läßt Taiwan husten

Bislang konnte die Regierung die Folgen der Asienkrise auf Taiwan vertuschen. Nun ist klar, daß der Staat dieselben Fehler wie alle asiatischen Staaten gemacht hat und schleunigst seine Wirtschaft reformieren muß  ■ Aus Kaohsiung André Kunz

Hsieh Taomin (30) hat im Zentrum der südtaiwanischen Stadt Kaohsiung gerade ein Teehaus eröffnet. „Zum Weg der Weisen“ taufte der ehemalige Innenarchitekt sein Lokal. Am Abend kommen Hsiehs Freunde, lassen sich auf roh gezimmerten Holzplanken nieder, trinken grünen Tee und diskutieren über die eigene Zukunft, die Aussichten der Stadt und der Insel Taiwan. Hsiehs Freunde ereifern sich schnell und versuchen, sich lautstark niederzubrüllen. Geht es um die Wirtschaftspolitik der Regierung, dann greift Hsieh schon im voraus nach einem großen Löffel, schlägt den Wasserkessel an und ruft: „Beruhigt euch!“

Nicht die neustationierten chinesischen Raketenköpfe auf dem Festland beunruhigen die jungen Leute. Auch der jüngste diplomatische Erfolg der taiwanischen Regierung in Makedonien läßt sie kalt. Nur der Gang der Wirtschaft erhitzt die Gemüter. „Taiwan leidet schwer unter der Asienkrise“, sagt Chou Yilien, ein junger Manager aus der Runde im Teehaus. Im Hafen von Kaohsiung hat er mitangesehen, wie Tausende von Hafenarbeitern im vergangenen Jahr auf der Straße landeten, weil weniger exportiert und deshalb weniger transportiert wurde. Taiwans Exportrückgang um neun Prozent war der größte Rückfall seit mehr als 20 Jahren, und Ökonomen gehen davon aus, daß dieses Jahr die Exporte noch tiefer fallen.

Taiwan galt bis vor kurzem als der Felsen im Sturm der Asienkrise. Zu Recht, denn das Bruttoinlandsprodukt wuchs 1998 noch um 4,83 Prozent, war damit das höchste unter den Tigern Asiens und dennoch das tiefste seit 16 Jahren für Taiwan. In diesem Jahr könnte das Wirtschaftswachstum unter 4,5 Prozent fallen. Ökonomen verweisen nun auf eine „strukturelle Krise“, die schnell angegangen werden muß. Als Aufmunterung vor dem gestrigen chinesischen Neujahr hat Premier Vincent Siew am Wochenende ein umfangreiches Reformpaket vorgestellt, das Taiwan auf einen starken Wachstumskurs zurückführen soll. Das Paket ist ehrgeizig: eine Reform im Finanzsektor, Steuersenkungen für High-Tech-Industrien in den nächsten zehn Jahren und die Entwicklung eines modernen Kapitalmarktes. Zugleich soll auch der Arbeitsmarkt dynamischer und neue Gesetze zur Bodennutzung erlassen werden. Obwohl das Paket wenig detailliert ist und vom Parlament noch genehmigt werden muß, zeigt es, daß Taiwan entgegen früherer Voraussagen doch an typischen Symptomen der Asienkrise leidet.

Da wären die 900.000 unverkauften Einzelhäuser, die seit dem vor einem Jahr geplatzten Bauboom vergeblich auf Käufer warten. Das entspricht einem Angebot von rund fünf Jahren, schließlich leben nur 21 Millionen Menschen auf der Insel. Für die wichtige Bauindustrie – sie beschäftigt nahezu 20 Prozent der Arbeitnehmer – sehen die kommenden Jahre trüb aus. Hiobsbotschaften aus der Finanzwelt häuften sich Anfang des Jahres, nachdem die Regierung bis zu den Parlaments- und Bürgermeisterwahlen im November mit Nothilfen die größten Krisenherde vertuschen konnte. Taiwan muß seinen Bankensektor umstrukturieren, der auf Kredite für den Immobiliensektor spezialisiert ist.

Die regierenden Nationalisten (Kuomintang) müssen beweisen, daß sie gute wirtschaftspolitische Krisenmanager sind. Die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei (DPP) sieht in der Krise bereits eine Chance, um sich mit Alternativen zur Wirtschaftspoltik zu profilieren und so fit für die Präsidentschaftswahlen 2000 zu werden. Das wichtigste Feld für neue politische Vorstöße der DPP ist die Stadt Kaohsiung, wo der DPP-Politiker Frank Hsieh nach über 50 Jahren Kuomintang-Herrschaft der erste oppositionelle Bürgermeister ist. Ein Grund mehr für die Leute im Teehaus „Zum Weg der Weisen“, bis in die Morgenstunden zu diskutieren. „Erst wenn die DPP überzeugende Wirtschaftspolitik betreibt, kann sie auf nationaler Ebene gewinnen“, sagt Jungmanager Chou. Die Resulate aus den Diskussionen im Teehaus will Chou nutzen. Er berät die DPP über Wirtschaftsfragen und die Zukunft des Hafens von Kaohsiung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen