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Der Größte und ein Unbekannter

■ Das „Sine Nomine Quartett“ bot in der Glocke ein außer-gewöhnliches Programm / Wiederentdeckung: Ernest Chausson

Mit dem Streichquartett B-Dur, KV 458 von Wolfgang Amadeus Mozart, dem sogeannten „Jagd-Quartett“, verbinden sich die berühmt gewordenen Worte Josef Haydns, die dieser nach der Aufführung 1784 zu Mozarts Vater gesagt hat: „Ich sage Ihnen vor Gott, als ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und Namen nach kenne; er hat Geschmack und überdies die größte Compositionswissenschaft.“

Mozart seinerseits hatte die experimentelle „Compositionswissenschaft“ der Quartette op. 33 (“gantz neue Besondere Arth“) seines 25 Jahre älteren Kollegen so sehr bewundert, daß er ihm nacheiferte. Das absolut Neue an den sechs Haydn gewidmeten Quartetten war die hochkomplexe Gleichwertigkeit aller Stimmen. Von den Zeitgenossen wurden sie nicht verstanden: „...seine neuen Quartetten sind doch wohl zu stark gewürzt – und welcher Gaumen kann das lange aushalten?“

Es war schön, daß das in Bremen debütierende „Sine Nomine Quartett“ aus Lausanne im letzten Philharmonischen Kammerkonzert im Kleinen Saal der Glocke an diese Geschichte erinnerte. Denn seitdem hat sich avancierte Kompositionstechnik häufig in der Gattung des Streichquartetts abgespielt. Es wurde zum Paradigma des modernen Kunstwerks: hier seien nur Johannes Brahms, Arnold Schönberg, Béla Bartok und György Ligeti genannt.

Patrick Genet und Francois Gottraux, Violine, Nicolas Pache, Viola und Marc Jaermann, Cello, spielen seit sechzehn Jahren zusammen und haben wichtige Preise eingeheimst. So ist denn auch ihr Spiel in der Homogenität traumwandlerisch sicher, ein perfektes Geben und Nehmen, wie man es von großen QuartettspielerInnen erwarten darf. Trotzdem stellte der programmatisch so schöne Abend nicht durchgehend zufrieden.

In Haydns Streichquartett C-Dur, op. 64 fehlten mir schärfere Satzcharaktere, war vieles wabernd kompakt. Einige Übergänge waren einfach zu steif geraten. Und obschon Mozarts Jagd-Quartett geradezu glitzterte in seiner Transparenz, konnten die vier Spieler den Eindruck von Hetze nicht ganz vermeiden – was auch damit zusammenhing, daß sie so viele Akzentuierungen schlicht überspielten.

Schön allerdings geriet die fast religiöse Tiefe des langsamen Satzes. Und perfekt interpretiert war das Streichquartett in c-Moll, op. 35 von Ernest Chausson, einem vollkommen unterschätzten französischen Komponisten in der Wagnernachfolge. Dem wilden Dauerhochdruck dieser durchchromatisierten, aber immer auch feinnervigen Musik waren die Lausanner nicht nur gewachsen, sondern führten dem Publikum ein Stück Musik so präsent vor, daß man sich nur darüber wundern konnte, diese (noch) unbekannte Komposition nicht längst schon zur Kenntnis genommen zu haben.

Ute Schalz-Laurenze

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