: Illusion vom Viehtreck
■ Spiel des Begehrens: Stephen Frears Genreübung "Hi-Lo Country"
Hi-Lo Country“ ist ein Spätwestern im doppelten Sinne. Er spielt nicht im 19. Jahrhundert, sondern direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, und er schaut natürlich auf ein Genre mit einer ziemlich langen Tradition zurück. Das sieht zum Beispiel so aus, daß der junge Farmer Pete aus dem Krieg zurückkehrt und sich über die Industrialisierung der Rinderzucht wundert: „Die Viehtrecks? Die gibt es nur noch in Filmen“, erklärt ihm der Großgrundbesitzer Jim Ed Love, der die kleinen Farmen der Umgebung aufkauft, aus den Ranchern Lohnarbeiter macht und die Pferde durch LKWs ersetzt hat.
Es ist der britische Regisseur, Stephen Frears, der in „Hi-Lo Country“ zunächst einmal die gute Laune und den Mythos vom freien, selbstbestimmten Leben in den Western zurückbringt: „Scheiß auf die LKWs, es macht einfach Spaß, ein Cowboy zu sein“, findet Petes Kumpel Big Boy Matson, und mit lautem Jippiyeah treiben die beiden ihr Vieh über die Prärie. So wie früher. Wie die Szenerie auszusehen hat, ist klar, und Frears bemüht sich, keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Er verkleidet den Wilden Westen so, wie man ihn sich vorstellt, beziehungsweise wie man ihn aus der Marlboro-Werbung kennt: „There are not many fences out here...“. Die Landschaft ist weit, der Horizont unendlich, und trotzdem passiert da so einiges: Pete (Billy Crudup) und Big Boy Matson (Woody Harrelson) legen sich mit Jim Ed Love an, man provoziert sich gegenseitig, und schließlich eskaliert der Konflikt auch. Allerdings nicht aus ökonomischen Gründen, sondern weil Big Boy ein Verhältnis mit Mona hat, der Frau von Loves Vorarbeiter: Aus dem Konflikt zwischen Cowboy-Anarchismus und Agrarkapitalismus wird der Konflikt Liebe vs. Love&Co. Mona wird von Patricia Arquette gespielt, und immer wenn sie auftaucht, ist „Hi-Lo Country“ eine dunkle, erotische Angelegenheit. Statt Landschaftsmalerei gibt es dann beunruhigende Bilder, in denen sich die Kontraste zwischen Schwarz und Weiß, Gut und Böse im weichgezeichneten Gegenlicht auflösen.
Mit der guten Laune und dem Jippiyeah ist es dann natürlich vorbei: Patricia Arquette lehnt an einer Kühlbox, in der Hand eine Flasche Coke, und schaut sich in aller Ruhe an, wie ihre Männer kurz davor sind, sich gegenseitig umzubringen. Die klassische Duellsituation des Western ist um eine Zuschauerin erweitert worden. Deutlicher kann man wohl nicht zeigen, worum es eigentlich geht: „You stupid horny Cowboys“, ärgert sich Petes Verlobte – als sie merkt, daß sie im Gegensatz zu Mona weder mitmachen noch zuschauen darf.
Deutlicher kann man es nicht zeigen. Aber das spricht nicht für den Film, der nach einer Romanvorlage gedreht wurde, die eigentlich Sam Peckinpah in den 60er Jahren verfilmen wollte. Stephen Frears hat nun nichts anderes gemacht, als einen Genrekommentar zu verfassen. „Hi-Lo Country“ inszeniert das Jungenspiel „Western“ mit viel Aufwand als Spiel des Begehrens, ist selbst aber fast gar nicht sexy. Kolja Mensing
Regie: Stephen Frears. Mit Patricia Arquette, Woody Harrelson, Billy Crudup u.a. Heute, 12 Uhr und 20 Uhr, Zoo Palast; 20.2: 12 Uhr, Royal Palast; 18.30 Uhr, Urania; 22.30 Uhr, International.
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