: Schnittstellen in Chile
Mehr als Cyber-Karaoke: Uwe Schmidt alias „lb“ verwandelt Donovan, Prince und Bowie in „Pop Artificielle“ ■ Von Holger in't Veld
Name: Uwe Schmidt. Alter: 30. Beruf: Programmierer, Musiker. Wohnort: Santiago de Chile. So einfach kann es sein, wenn Pop dekonstruiert wird. Nur: Unser Mann in Lateinamerika zer-legt oder besser -schneidet zwar, aber am Ende des Tages geht es ihm um die Re- bzw. Neu-Konstruktion von Pop. Deswegen ist sein Name auch weder Uwe noch Schmidt, sondern Lassigue Bendthaus, oder kurz „lb“. Zumindest heute. Morgen erscheint er uns als Atom Heart, gestern als Naturalist, Brown, Dots, Built, Mono und ein gutes Dutzend anderer Pseudonyme. Er bevorzugt den Begriff Images. Schmidt-Bendthaus formuliert in Interface-Spraak – Worte wie Trigger und Peak sind in seinem Sprachschatz aktiv und haben ihre technische Konnotation längst verlassen. Gerade steigert er sich am Mobiltelefon in elektromusikalische Abgründe, von denen sich für den unbedarften Außenstehenden nur übermittelt, daß Loops – Schleifen – nicht erwünscht sind. Durch die Bits und Bytes konturiert sich langsam, worum es Schmidt statt dessen geht: Arbeit, Handwerk, Spannung und Musik.
Schmidt ist eine Ausnahmeerscheinung, selbst im an sonderbaren Existenzen nicht eben armen Bereich der elektronischen Musik. Gestisch, rhetorisch und äußerlich ein Wissenschaftler, wird das Wort Pop in seinem Mund zur Farce, zu „Pop Artificielle“. So heißt auch die neue Platte, an der er sechs Jahre geplant und gefeilt hat, begleitet von einer unüberschaubaren Vielzahl kleinerer Projekte, deren Veröffentlichungen von der selbsterklärten elektronischen Intelligenzia immer wieder als Revolution und prophetische Vorschau auf das omnipräsente nächste Jahrtausend gepriesen wurden. Ein weiterer Grund dafür, daß er vor zwei Jahren die Flucht ergriffen hat nach Chile, 10.000 Kilometer südwestlich von seiner Heimat Frankfurt. Schmidt ist ein Techno- Aussteiger. Ein Szeneflüchtling. Frankfurt–Berlin, Techno–Elektro wurden ihm zu eng, zu medial, zu redundant. „Die Leute reden ständig vom Global Village, aber sitzen doch nur in Berlin“, sagt er.
Also Schnitt, nicht jedoch ohne die Maschinen. Das Exil ist Arbeit, ist sein Platz für die eigene Geschichtsschreibung. Aus der Klausur wirft Schmidt Musik zurück in den hermeneutischen Diskurs. „Chile ist ein stabiles Land. Es gibt den ganzen Tag über Strom und vor allem in 220 Volt“, mailt er mir ein paar Tage nach unserem Gespräch auf die vergessene Frage, warum denn eigentlich gerade Chile. Soviel zu einem politischen oder sozialen Verständnis. Das Thema heißt eher Klima. Aber eigentlich Musik. Oder, noch kleiner: Elektronika. Es gibt sogar eine diesbezügliche Szene vor Ort, die Uwe mit Berlin 91 vergleicht.
Die Euphorie beginnt, Bands oder Projekte, die den Sound dieser Zeit konservieren, werden eingeflogen, um zu erfüllen. „Südamerika hat keine Geschichte, was elektronische Musik angeht. Da existiert Kraftwerk nicht oder Can oder Stockhausen. Die steigen direkt auf einem populistischen Peak ein.“ Was ihn, der 90/91 „auch sehr euphorisch“ war, längst nicht mehr interessiert. Es gab eine Zeit, wo Techno funktioniert hat, eine Zeit neben Sven Väth oder Westbam. Doch als der Loop am nächsten Tag noch der gleiche, Liebesparaden vorantreibende war, hat er sich zurückgezogen, aus Desinteresse an szenischem Schulterklopfen, der Langeweile darob, „was man hier immer als Fortschritt gepriesen bekommt“. Schritte zur Abnabelung: feststellen, daß das System standortunabhängig ist, Ort wählen, ausprobieren, bleiben. „Abkapseln von europäischen Formeln“, wie er sagt. Vor allem Ruhe finden für die selbstgestellte Aufgabe: neue Sprache, neue Musik und der Popsong des 21. Jahrhunderts. Was er selbst vorsichtiger formulieren würde.
Schmidt ist Understatement, sein eigenes Label heißt „Rather Interesting“. Dort veröffentlicht er seit 94 im zweimonatlichen Takt Tonträger unter wechselnden Namen und ohne jedwede Information, die schon durch ihre Limitierung auf 1.500 Exemplare eine elitäre Gruppe von Freaks konstituieren.
Erwartung der Unberechenbarkeit. Erwartung beständiger Progression. Er selbst spricht von Qualität und Kohärenz. Der Schlüsselbegriff heißt aber eher Schnittstelle, Titel einer im letzten Jahr programmierten CD. Dort hört das ungeschulte Ohr minimale Töne, Tupfer von feinst ziseliertem, elektronischem Jazz, stolpernd und ohne jedwede melodische oder strukturelle Auflösung. Improvisiertes Material, mit einem digitalen Messer geschnitten und zu Episoden zusammengefaßt. Hörbar eine rein formelle Arbeit, wider die billige repetitive Form, wider die Bassdrum, wider Trance. Kein Wunder, daß Schmidt nicht zu Kraftwerk oder Can betet, sondern seine Bezüge eher bei Musique Concrète sieht und Leuten , „die in so einer Digital-Pfriemel-Ecke stecken“.
Ebenso klar: Dieses System starrt vor Selbstrefentialität. Die Abgrenzung heißt Techno und seine Produktionsmethodik, wo Mensch vor Technik niederkniet. Die Maschinen geben die Ästhetik einer Epoche, die Neunziger ganz klar definiert durch Rahmenbedingungen – die Schleife und ihre Weiterverarbeitungsfläche Cubase, heilige Software der elektronischen Musik, wo Loops im linearen Fluß zusammengebaut werden. „Ich würde das gerne über den Haufen werfen, die Techno- Idee von: ,Ich habe die Maschinen und damit eigentlich gar nichts zu tun‘“, sagt der Mikro-Revoluzzer. Sein besonderes Mißfallen gilt dem „Techno Boys-Club“, wo „einer auf der Bühne mit 'ner Maschine steht, und am besten ist es noch dunkel, und er beugt sich über sein Gerät und dreht da 'ne Stunde dran rum mit dem Argument: ,Wir wollen ja keine Stars sein, und es geht um die Musik.‘“ Dem setzt er Entertainment entgegen, was heißt, wirklich live zu spielen „und den Leuten zeigen, daß das, was ich mache, auch von ihnen abhängt.“
Dazu präsentiert Uwe sein bildend-unterhaltsames Interface, das per Videobeam hinter sich projizierte Display seines Arbeitsgerätes, und läßt das Publikum am Prozeß der veränderten Parameter teilhaben. Das dafür grundlegende, im szenischen Kodex als „MPC“ geläufige Gerät ist, wie er immer wieder betont, viel mehr Instrument als Maschine und erfordert „echte, körperliche Arbeit. Schnell, gewandt, rhythmisch, konzentriert in der Bedienung, wie ein DJ mit mehreren Plattenspielern“. Oder, wie er ohne Scham zugibt, „wie ein anhaltendes Gitarrensolo“. Können. Muckertum. Was Ehrliches. Aus den Tiefen dieses Instruments läßt der Livemusiker Schmidt Töne in den Raum fallen, von denen man nicht weiß, wohin sie führen, ob es der Rhythmus ist oder der Rhythmus noch kommt, bis sich über die Wiederholung Befriedigung einstellt. Manchmal. Wenn er sehr freundlich gestimmt ist, gibt es auch Salsa und Melodien.
„Popmusik“, sagt er, wieder ganz Intellekt, „wird gemacht wie vor fünfzig Jahren, Programmierung wie seit zehn oder zwanzig Jahren. Programmierer arbeiten mit einer Track- oder Sound- oder Interface-Idee, aber nicht mit einer Kompositionsidee. Und wenn, dann nur in der ernsten Musik. Techno als populistische Musik wird dagegen ohne jeglichen Hinblick auf Komposition programmiert.“ Kurz, es gibt auf allen Ebenen Diskrepanzen und keine Anzeichen für seinen Wunsch, „daß da mal jemand reingeht, einen guten Popsong schreibt und gleichzeitig gut programmiert“.
Aphex Twin? „Scheiße“, entfährt es dem ansonsten bedächtigen Mann. Auch Björk ist nicht die Fusion, die er sich wünschen würde und erst recht nicht das Madonna- Album, dem das alle zuschreiben. Genau da soll es aber hingehen, der momentan allgegenwärtige Wunsch nach Pop zu eigenen Bedingungen. Für diesen Schritt vom Track zum Song geht der Klangakademiker freiwillig zehn Schritte zurück und wird zur Band von nebenan, die erst mal an vorhandenem Material lernt, sprich covert. Schmidts Top ten: John Lennon, James Brown, Donovan, Prince und David Bowie, eingespeist in seine avancierten Programme, digitalisiert, geschnitten und in „Pop Artificielle“ verwandelt. Dazu eine Serie rötlich-monochromer Fotos, wo der (Heinz Rudolf Kunze nicht ganz unähnliche) Künstler in bedeutungsschwangeren Posen, mit ausgestrecktem Gitarrenhals, auf einem Blumenbeet, mit entrücktem Blick, Hand auf dem Herz, die einzelnen Stücke bebildert. Dankbar nehmen wir zur Kenntnis, daß er im gleichen Zug eine Renaissance des „L'art pour l'art“ proklamiert.
„Verwirrung ist der Gag der Platte“, erklärt er die Strategie unbeholfen. „Viele hätten es plakativer gemacht.“ Zehn Discostücke wären nicht interessant gewesen, es ging um das unbedingte Vermeiden, sich auf irgendeinen Trend beziehen zu lassen. „Das zeigt sich jetzt in der Resonanz genau als der starke Punkt“, berichtet Schmidt: „Interessant weil: gibt's nicht. Anders hätte es vielleicht kommerziell funktionieren können, wäre aber auch ganz schnell in die Belanglosigkeit gefallen.“ Geld ist keine Motivation. Alles eine Frage, wie man seine Lebenszeit verbringt. Die hat man halt nur limitiert und benutzt sie besser, um ein autonomes Projekt wie Macos – Musicians Against Copyrighting Of Samples – ins Leben zu rufen, einen anarchischen MusikerInnen- Verbund, der sich von der rechtlichen Klärung der Zweitverwertung befreit, in Form eines Codes, der zur Verfügung steht, um eine Position innerhalb des Musikbusiness klarzustellen. Sound ist frei, nieder mit der Bürokratie.
Umgeben von Natürlichkeit steht der Schmidt und sagt, daß Technologie und Kultur eins sind. Die Arbeit, mit dieser Kultur intuitiv umgehen zu können, er hat sie geleistet. Das Gerät in die Komposition zu integrieren, um zugleich Organik, Tiefe und Komplexität zu erzeugen. Die Forschung fließt in den Song, Routinen werden zur Arbeitsmethode, zum Repertoire. Lehren aus „Schnittstelle“ stecken in einem Song wie „Angie“, einem hundertfach haarnadelzerrissenen Musterbeispiel subversiv-verstörender Überarbeitung. Angie? Ja, auch Angie, dieses jämmerliche Stones-Monstrum, ist mitsingbarer Bestandteil von Schmidts „Pop Artificielle“. Die offensichtlichen Referenzen, die Stimmen, hat er mit einer von ihm entwickelten Software in digitales Roboterschnarren verwandelt. Daraus zu erwachen, ist pure Metaebene, ist Maschinenrock, Maschinenfunk, Maschinensoul, wissenschaftlich- distanziert und zusammen mit dem Pathos auch der Körperlichkeit beraubt. „Composition versus Combination“, postuliert Schmidt auf dem CD-Rücken. Wieviel mehr das ist als Cyber-Karaoke, als gelungene formelle Spielerei sollen, wie so oft, erst die musikalische Geschichtsschreibung und die KonsumentInnen der Zukunft entscheiden, die dann auch mit dem letzten Schritt des Schmidtschen Masterplans konfrontiert werden, dem ganz neuen, ganz eigenen Popsong, der mit dem populistischen Jetzt selbstverständlich nichts zu tun hat. „Ich weiß, wie es funktioniert“, sagt das selbstsichere Atomherz. „Und wenn ich nicht weiterkomme, kann ich immer noch schneiden.“
lb: „Pop Artificielle“ (Form + Function/Rough Trade)
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