: Zwangsarbeit beim Bauern zählt weiter nichts
■ Der Entschädigungsfonds deutscher Unternehmer stößt in Polen auf Skepsis
Warschau (taz) – „Endlich anerkennen die deutschen Unternehmen ihre Schuld und zahlen den Zwangsarbeitern von einst ihren Lohn aus nach über 50 Jahren.“ Jacek Turczynski, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung in Warschau, begrüßt zwar die grundsätzliche Bereitschaft einiger deutscher Firmen, in einen Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter einzahlen zu wollen. Doch solange keine konkreten Zahlen auf dem Tisch liegen, bleibt er skeptisch. „Wenn tatsächlich nur die Zwangsarbeiter entschädigt werden sollen, die in der Industrie bei den großen Konzernen gearbeitet haben, dann wird die Masse der Opfer in Polen wieder nichts bekommen. Über 60 Prozent der ins Reich Verschleppten haben in der Landwirtschaft gearbeitet.“
Das Argument, daß auf dem Land ganz andere Zustände herrschten und die Zwangsarbeiter dort zumindest immer gut zu essen hatten, wischt Turzczynski vom Tisch. „Sie wurden genauso deportiert, von der Familie getrennt, sie mußten einen Aufnäher mit dem Zeichen ,P‘ für Pole tragen.“ Als Erntehelfer und Haushaltshilfen hätten viele Kinder zwangsarbeiten müssen. Diese seien fast alle noch am Leben. Nach dem Willen von Regierung und Industrie in Deutschland würden sie nichts bekommen.
Und noch eine Gruppe würde leer ausgehen, wenn der Fonds so zustande käme, wie er im Moment geplant ist: die nichtjüdischen KZ- Häftlinge. Davon habe es in Polen sehr viele gegeben.
Tatsächlich hatte Kanzleramtsminister Bohl noch im Herbst 1997 mit der Jewish Claims Conference nur eine Entschädigungsregelung für jüdische KZ- und Ghetto-Opfer in Osteuropa getroffen. Sie bekommen seit Januar dieses Jahres eine Rente von 250 Mark monatlich, nichtjüdische KZ-Opfer hingegen nichts. Da der geplante Fonds nur ehemalige Zwangsarbeiter entschädigen soll, wuerden die nichtjüdischen KZ-Opfer wieder leer ausgehen.
Die markigen Sätze von Kanzler Gerhard Schröder, daß „die Kasse zubleibt“, da das „Kapitel Wiedergutmachung abgeschlossen“ sei, stoßen in Polen auf wenig Verständnis. Von den 100 Milliarden Mark Entschädigung, die Bonn im Laufe der Jahre an NS- Opfer überwiesen hat, ist in Polen nur ein Bruchteil angekommen.
1972 wurden die Opfer pseudomedizinischer Versuche mit insgesamt 100 Millionen Mark entschädigt und 1997 die jüdischen NS- Opfer in Polen, die seit 1999 eine auf vier Jahre begrenzte Rente in Höhe von 250 Mark monatlich erhalten. Bereits 1975 hatte Deutschland die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche der Zwangsarbeiter anerkannt und 1,3 Milliarden Mark an die polnischen Rententräger überwiesen. Mit dieser Summe wurden auch die Ansprüche der vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland lebenden Polen abgegolten.
Die 1,3 Milliarden Mark, die in der deutschen Entschädigungsbilanz häufig angeführt werden, sind also gar keine Entschädigung. Alle in Deutschland lebenden Polen hatten über Jahre hin Beiträge zur deutschen Unfall- und Rentenversicherung abgeführt. Nach der Wiedervereinigung vermied es die deutsche Regierung peinlichst, einen „Friedensvertrag“ zu schließen. Die gesamte bisherige Rechtsprechung hatte NS-Opfer aus Osteuropa auf diese „endgültigen Regelungen“ vertröstet. Um „ihren guten Willen“ zu zeigen, ohne aber die Entschädigungsforderungen anzuerkennen, schloß die Kohl- Regierung sogenannte Globalvereinbarungen mit den osteuropäischen Staaten. In den Statuten der Versöhnungsstiftungen wurde ausdrücklich festgehalten, daß es sich nur um eine „humanitäre Hilfe“ handelt. In Polen haben die ausgezahlten Summen viel Verbitterung ausgelöst. Während NS-Opfer mit Wohnsitz im Westen mehrere tausend Mark erhielten, wurden sie mit durchschnittlich 500 Mark abgespeist. Turczynski fragt: „Ist polnisches Leid weniger wert als amerikanisches?“ Gabriele Lesser
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