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Ekelhafte Debatte, trostloses Schauspiel –betr.: „Keine Eile bei Doppelpaß“, taz vom 13./14. 2. 99, und frühere Berichte

[...] Daß ein hier geborenes Kind seit Jahren hier lebender Eltern einen deutschen Paß bekommt, sollte längst selbstverständlich sein. Ob es noch eine zweite Staatsbürgerschaft braucht: Muß uns das wirklich kümmern? Wer hier lebt, mit deutschem Paß, ist ein vollwertiger Bürger, mit allen Rechten und Pflichten – für was reicht das angeblich nicht? So, Deutschland ist kein Einwanderungsland. Richtig. Jedenfalls keins im klassischen Sinne, in dem bei Betreten die alte Identität und alle kulturellen und familiären Loyalitäten abgegeben wurden. Nur: Das sind die gerne als Beispiel angeführten USA auch nicht mehr. Wenn sie es je waren. Wer ins 19. Jahrhundert zurückblickt, wird feststellen, daß die Deutschen in Amerika sich lange an ihr „Deutschtum“ klammerten, ob sie nach 1848 auf eine neue Chance zur Demokratie hofften oder 1871 die Kaiserkrönung feierten – mit amerikanischen Papieren in der Tasche, wohlgemerkt. Es gab sogar Pläne für einen „deutschen“ Staat im noch dünn besiedelten Westen der USA. Daß die hierzulande ansässigen Turk- und Italo-Deutschen je ein eigenes Bundesland geplant hätten, ist mir bisher nicht zu Ohren gekommen.

[...] Machen wir uns nichts vor: Selbst mit deutschem Paß passiert Integration nicht von heute auf morgen. Aber eines ist sicher: Je länger die ekelhafte Debatte geführt wird, desto weniger wird für alle Beteiligten dabei herauskommen. Wer hindert uns eigentlich, den 3. Oktober 1990 als Stichtag zu nehmen und zu sagen: Wer damals im Lande ansässig war, noch da ist, und wer sich nicht eben als Krimineller ausgewiesen hat, der kann einen deutschen Paß bekommen. Hier geborene Kinder bekommen sowieso einen, ohne die Drohung, ihn vielleicht mit 18 oder 23 wieder abgeben zu müssen, Bürger auf Widerruf zu sein. Was soll denn mit denen werden, die sich dann aus welchen Gründen auch immer gezwungen sehen, doch dem griechischen oder dem amerikanischen Paß den Vorzug zu geben? Die werden nicht tags drauf die Koffer packen. Sind das dann „wieder“ Ausländer? Gehören die vorher zu uns und ab dem Stichtag nicht mehr? Wer ist eigentlich „Wir“? 1866 hat einer meiner Vorfahren mit Preußens noch Löcher in bayerische Uniformen geschossen, bitte schön, und der heute für uns gleich aussehende deutsche Paß wäre historisch quasi vorgestern noch als Unmöglichkeit erschienen. Vorgestern.

Der Vergleich mit der zu ihrer Zeit in weiten Kreisen rechts der Mitte ähnlich unpopulären Ostpolitik der Regierung Brandt ist nicht zu weit hergeholt. Willy Brandt riskierte dabei einiges mehr als die derzeitige Bundesregierung, die vor allem riskiert, einige hunderttausend, vielleicht sogar eine Million Neubürger zu bekommen, die sich endlich akzeptiert und ein bißchen selbstverständlicher „da“ fühlen könnten. Das ist der eine Unterschied. Der andere: Kanzler Brandt ging vor dem Mahnmal des Ghettos von Warschau in die Knie, Kanzler Schröder vor jeder Zusammenrottung von Lobbyisten, die am Wegrand auftaucht. Trostloses Schauspiel. Wolfgang Hochbruck, Stuttgart

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