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Nackt in der Asylidylle

■ Russisch-melancholisch: Serge Sneshkins „Blüten der Calendula“

Rußland ist weit – und melancholisch. Am Anfang eilt ein Mann um die 50 mit gedankenvollem Bäuchlein in der blaustichigen Morgendämmerung zum Kiosk, um sich ein Fläschchen Wodka zu holen. Zurück im Schlafzimmer seiner Frau, mag die ihn nicht wieder ins Bett lassen. So schläft er auf dem Sofa. Gemächlich-sentimental geht es zu in „Calendula“ von Serge Sneshkin, dessen Protagonisten aus einem Tschechowschen Theaterstück zu stammen scheinen und die vorrevolutionäre Adelsidylle des Autors doch immer wieder parodieren. Drei Generationen leben auf der Datscha einer so hochmütigen wie verarmten Adelsfamilie: die verwitwete Großmutter, die ihrem nach Ende des Kommunismus verstorbenen Mann, dem Dichter Protassow, hinterhertrauert; ihre Tochter Serafima, deren aus drei Ehen stammende Töchter Anna, Elena und Mascha, der Mann von Serafima und Elenas Freund, ein brotlos-naturnaher Künstler.

Untätig und unzufrieden lebt die Familie in ihren Erinnerungen. Man schmiedet Aufbruchpläne, zu deren Umsetzung allein die Energie fehlt. Die vornehm-hinfällige Großmutter, der das Haus gehört, möchte es dem Staat vermachen und ein Museum zu Ehren ihres in Sowjetzeiten hochdekorierten Mannes entstehen lassen. Der Rest der Familie möchte sie daran hindern und schmiedet eher unentschlossene Mordpläne. Zwei „Neue Russen“, die das Haus kaufen möchten, stören die Lethargie.

Der schön anzusehende Film berichtet von einem Tag auf der Datscha, dem Geburtstag der Großmutter, den die Familie mit allerlei künstlerischen Festivitäten zu begehen pflegt. Ab und an zwitschert die jüngste der schönen Schwestern, vom Künstler angemalt, nackt durch die Adelsidylle; die Oma will fliehen, um ihr Testament in der Stadt aufzusetzen, und wird wieder zurückgeholt, die reichen Russen sind eher amüsant als bedrohlich. Am Ende erkennt man, daß das träge Zauberberg- Leben doch recht schön ist. Die Oma erleidet einen Schlaganfall, die kaufinteressierten Russen werden abgewimmelt.

Zunächst war Serge Sneshkin beauftragt worden, eine Soap- opera zu drehen. Das wollte er nicht. Statt dessen schlug er „etwas in der Art der ,Forsythe Saga‘ vor. So entstand die ,Protassow-Saga‘. Detlef Kuhlbrodt

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