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Rotweinfaktor mit Peinlichkeitspotential ■ Von Ralf Sotscheck
Als ich die Fünf-Liter-Kartons mit billigem französischem Landwein sah, ahnte ich, wie der Abend verlaufen würde. Es wurde dann noch schlimmer. Colm und Mary hatten uns sowie Declan und Nora eingeladen, weil sich unsere Töchter seit kleinauf kennen. Jetzt sind die Girls 17 und versuchten mit allen Mitteln, das Treffen zu hintertreiben, denn Eltern haben ein hohes Peinlichkeitspotential.
Declan und ich streiten uns jedesmal, wenn wir uns treffen, denn er hält den klotzköpfigen Unionisten-chef David Trimble für den einzigen fähigen Politiker dieses Jahrhunderts. Darüber hinaus bestreitet er, daß es in Afrika jemals Kolonien gab. Merkwürdigerweise kommt das Gespräch stets automatisch auf diese Themen.
Diesmal mußten wir den Töchtern versprechen, unter keinen Umständen über Politik zu reden, und anfangs ging alles gut. Doch niemand hatte den Rotweinfaktor bedacht. Mary, die Gastgeberin, ist Stewardeß und hatte von ihren Auslandsflügen einen enormen Vorrat an Weinkartons mitgebracht.
Die Mädels beobachteten uns argwöhnisch, zumal vier Austauschschülerinnen aus Deutschland und Frankreich dabei waren. Dann kam der fatale Augenblick, in dem ich Declan vorschlug, spaßeshalber einen Streit zu inszenieren, um den Töchtern einen Schrecken einzujagen. Declan war sogleich Feuer und Flamme und sang ein Loblied auf Trimble. Leider hatten wir vergessen, Colm einzuweihen. „Trimble“, schnappte er nach Luft, „das ist doch ein Faschist!“ Das war zuviel für Declan. Mit hochrotweinigem Kopf sprang er auf und zählte die größten Versager in der irischen Politik auf. Die Töchter, deren schlimmste Befürchtungen sich gerade bewahrheiteten, hätten sich am liebsten Papiertüten über die Köpfe gezogen.
Ich versuchte, die Diskussion in andere Bahnen zu lenken, wählte aber das falsche Mittel: Ich nahm Declan in den Schwitzkasten und schlug ihm mit der Faust mehrmals leicht auf den Kopf. Für die Mädchen war das aus dem Garten, in den sie die Austauschschülerinnen bugsiert hatten, nicht als Scherz erkennbar. Für Declan wahrscheinlich auch nicht, nur Colm lachte lauthals und reichte mir einen Schürhaken, um Declan den Rest zu geben. Ich verzog mich vorsichtshalber für eine Weile auf die Toilette.
Als ich zurückkam, war Declan eingeschlafen. Er hatte jedoch Schluckauf, und bei jedem Schlucken schoß eine Fontäne Rotwein aus seinem Mund und ergoß sich über seinen weißen Freizeitanzug. Baby Jane, seine fünfjährige Tochter, war davon überzeugt, ich hätte ihren Daddy bewußtlos geschlagen, und aus seinem Mund liefe Blut. Mary, die Gastgeberin, war ebenfalls eingeschlafen, würgte aber in ihrem Delirium so furchterregend, daß ihr jemand den Hundenapf auf den Schoß gestellt hatte. Colm schnarchte auf der Gartenbank, und irgendwann bin auch ich eingenickt. Die Austauschschülerinnen machten unterdessen eifrig Notizen für den nächsten Brief nach Hause.
Aine, die keinen Rotwein mag, fuhr dann alle heim. Die Töchter sprachen eine Woche lang kein Wort mit ihren Vätern. Und brachen das Schweigen nur, um zwischen den Elternpaaren eine Kontaktsperre zu verhängen.
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