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■ Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst war kurz und bringt mehr GeldSo einfach, so bequem

Sie hätten zeigen können, was in ihnen steckt. Jedes Jahr werden im öffentlichen Dienst 200 Millionen Überstunden geleistet. Die Gewerkschaften hätten Arbeitgebervertreter Otto Schily dazu bringen können, die Zahl der Überstunden zu begrenzen und neue Leute einzustellen. Im Gegenzug hätten sie darauf verzichten können, sich jede Überstunde, die außerhalb der Normarbeitszeit liegt, bezahlen zu lassen. Sinnvoll wäre eine solche Regelung allemal: Seit fünf Jahren schnellen die Überstunden in der öffentlichen Verwaltung hoch, parallel dazu werden die Stellen abgeholzt wie Fichten zur Weihnachtszeit. Seit 1994 sind 200.000 Jobs verschwnden, in den kommenden Jahren werden noch 100.000 hinzukommen. Die Gewerkschaften hätten wenigstens über beschäftigungspolitische Maßnahmen verhandeln können. Aber auch hier: Fehlanzeige. Statt dessen haben sie und die Arbeitgeber gezeigt, daß der alte Geist von Tarifverhandlungen munter in ihnen lebt – jenseits des Getues über ein Bündnis für Arbeit.

Wie früher haben ÖTV und DAG um mehr Lohn gefeilscht. Sie haben Politik für Arbeitsplatzbesitzer gemacht. Überraschend schnell hat Otto Schily ihnen die 3,1 Prozent mehr Lohn und Gehalt geboten. Und als sie einmal da war, die symbolhafte Drei vor dem Komma, haben die Gewerkschaften reflexhaft zugeschnappt. Müllmänner und Kitafrauen dürfen sich freuen. Die Preissteigerungsrate ist so gering, daß ihnen spürbar mehr Geld auf die Gehaltskonten überwiesen wird. Zudem können sie auch noch von niedrigeren Steuersätzen profitieren.

Die Steuerzahler kommt der Tarifabschluß teuer zu stehen. Die öffentlichen Hände müssen ihr Budget für Personalkosten um rund 6 Milliarden Mark höher ansetzen. Falls das Ergebnis auch auf die 1,8 Millionen Beamten übertragen wird, kostet der Kompromiß am Ende etwa 10 Milliarden Mark. Das ist kein Pappenstil. Um uns Steuerzahler zu besänftigen, hat Schily Gegenleistungen verlangt. Demnächst sollen bis zu 45 Wochenarbeitsstunden gearbeitet werden, ohne daß hierfür Überstundenzulagen fällig sind. Zudem geht der Tarifvertrag diesmal über lange 15 Monate. Die Arbeitgeber haben herausgeholt, was sie konnten. Es wurde ihnen leichtgemacht. Schily konnte nach dem Motto verfahren: „Ihr kriegt, was ihr wollt, bezahlen müßt ihr eh.“ Wenn Länder, Kommunen und Gemeinden die Lohnsteigerung nicht tragen können, sollen sie eben Personal entlassen, meint Schily. So einfach, so bequem ist das. Frage bloß niemand: Wo kommen neue Jobs her? Annette Rogalla

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