: Schnauze voll von Besserwissern –betr.: „Wir brauchen die Schule nicht mehr“ von Reinhard Kahl, taz vom 23. 2. 99
Schule im 21. Jahrhundert? – Wirklich überflüssig. Wozu auch sich jahrelang mit einer Gruppe Gleichaltriger zusammenraufen, wenn's daheim allein am Bildschirm so gemütlich ist? All die lästigen Auseinandersetzungen, die man da hätte, diese vielen Kontakte – am Ende sogar körperliche! Und die Schulleute konnten einen im letzten Jahrhundert mit den unmöglichsten Menschen in eine Klasse stecken, wirklich mit jedem – eine Zumutung! Da lob' ich mir meinen bequemen Sessel zu Hause, Cola und Chips griffbereit daneben ... – soziale Kompetenzen? Doch, den Ausdruck kenn' ich. Kann ich per Mausklick im Lexikon auf CD-ROM abrufen. Die Fähigkeit, „nein sagen zu können“? – Aber bitte: Eine Unterrichtseinheit, die mich gerade nicht anmacht, ein nervige Forderungen stellender Instruktor auf'm Bildschirm – weg damit, ein Mausklick genügt! Und die Idee, daß man allen eine Art „Basiswissen“ anbieten muß, ist ja wohl wirklich antiquiert. Das „Dritte Reich“? – Ich guck' mal im Verzeichnis bei den Science-fiction nach.
Wie es mit meinem Handlungswissen aussieht? Na, am Computer bin ich perfekt. Sport, Malen, Werken? Ich bitte Sie! Damit kann man doch später kein Geld verdienen. Aber ich habe ein Grafikprogramm. Hat 'ne Stange Geld gekostet, aber Papa sagt, das muß einem die Kreativität wert sein. Hilft außerdem der Wirtschaft – was wären wir ohne die Computerindustrie?
Lehrer? – Ja, Mama erzählt noch ab und zu von denen. Sie habe eine Lehrerin gehabt, mit der man auch mal über Privates habe reden können, die sich im Unterricht immer mal was Neues habe einfallen lassen, mit der man sich streiten und an deren Persönlichkeit man sich reiben konnte. Verstehe das, wer will. Sympathie für ihre Schülerinnen und Schüler habe sie auch gehabt. Nun, mein Mathe-Instruktor guckt auch immer freundlich, wenn ich ihn auf'm Bildschirm habe.
Mama hat die alte Lehrerin vor kurzem mal wieder getroffen. Sie hat den Beruf längst an den Nagel gehängt. Warum? Mama hat's noch wörtlich gewußt. Die Alte hat gesagt: „Wenn ich mit Computern hätte umgehen wollen, hätte ich gleich Programmiererin werden können. Und mit den Jahren hatte ich die Schnauze voll von Besserwissern, die ihre Schmähworte über die Lehrer ergießen, aber das letzte Mal mehrere Stunden mit 25 Jugendlichen [in welcher Schule herrschen denn solche paradiesischen Zustände? d. sin] in einem Raum verbracht haben, als sie selbst in der Pubertät waren!“
Das versteh' einer. Evelyn Reb, Hauptschullehrerin, Karlsruhe
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