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Das zweite Leben des Brian

■ Bizarr: Amerika swingt wieder, und Brian Setzer ist der König der Neoswing-Welle. Mit großem Orchester kommt er jetzt nach Europa

Das Konzert in Milwaukees Eagle Ballroom mutet zunächst an wie ein Abschlußball in einer Fünfziger-Jahre-High-School. Entspannt swingt das sechzehnköpfige Orchester über die Noten. Aber dann betritt der neue Glamourboy die Bühne, in rosa Glitzerhosen, lila Satinshirt und weißen Creepers. Brian Setzer schnappt sich seine Gitarre und stimmt einen Crossover zwischen wildem Rock- a-Billy und traditioneller Bigbandmusik an. Das krachende Resultat geht heute als Neoswing durch – ein Retrosound, der in den USA zur Zeit in aller Munde ist.

Bizarr, aber wahr: In US-amerikanischen Clubs und Konzerthallen tanzt man wieder den Lindy Hop, den Jitterbug, trägt Zoot Suits und klemmt sich fette Zigarren zwischen die Zähne. Fünf Dekaden nach der Blütezeit des Swings ist der Glenn-Miller-Sound plötzlich wieder in – allerdings entsprechend getunt. Bands wie The Brian Setzer Orchestra, die Squirrel Nut Zippers oder Big Bad Voodoo Daddy vereinen Elvis mit Dean Martin, Django Reinhardt mit Louis Armstrong und Rockriffs mit Trombonen-Trara.

Ein Revival-Trend wäre jedoch kein Trend, gäbe es nicht einen gefeierten Protagonisten. Der heißt Brian Setzer und ist ein tätowierter Rock 'n' Roller mit blonder Tolle. Als ehemaliger Frontmann des Rock-a-Billy-Trios Stray Cats hatte er sich seit den frühen Achtzigern zwar in die Herzen einiger eingefleischter Fans und Musikkenner gespielt. Doch zur „Jay Leno Show“- und MTV-Reife wurde der virtuose Gitarrist erst jetzt befördert.

Knapp zwanzig Jahre war Setzer dem Rock-a-Billy treu geblieben, ohne einen Megahit zu landen. Die Musik, eine Mischung aus Country, Blues und Rock 'n' Roll, entstand in den fünfziger Jahren in den Südstaaten, gilt als Ausdrucksform bikender Hillbillys in Lederjacken mit schmierigen Pompadours – nicht gerade hitverdächtig, weder im Grunge-Zeitalter noch im Heavy-Metal-Age. Die Idee, seinen Gesang und seine Gitarre mit dem Big-Band-Brimborium zu bereichern, verwirklichte Setzer schon 1992, als er sich von den Stray Cats trennte. Die Musik des neu formierten Orchesters war schon damals eine geballte Ladung aus Blues, Country, Jazz und Rock 'n' Roll. Doch weder die Plattenfirmen noch MTV wollten ihm damit eine Chance geben.

Nun wird ihm der rote Teppich ausgerollt. Die CD „The Dirty Boogie“ des Brian Setzer Orchestra verkaufte sich in den USA zwei Millionen Male, zwei Grammys sahnte der Blonde mit der orangen Gitarre dafür kürzlich ab. „Der neue Swing-King Amerikas“ titeln die Musikmagazine. Der Hammerstein Ballroom in New York war beim letzten Gig restlos ausverkauft, Star-Talker Jay Leno lud zum Gespräch, und die Radiostationen jagen landesweit den Setzer-Sound durch den Äther. Eine Modefirma und eine weltbekannte Whiskymarke benutzen den Meister-Swinger als Werbeträger, und Disney fragte an, ob Mister Setzer nicht die Musik für einen neuen Film schreiben wolle. Dabei kommt Setzer keineswegs als ephemere Trendgeburt daher. Seit seiner ersten Platte 1980 gilt er als Gitarrentalent. Das stimmt heute erst echt. Während die Band ihn begleitet, steht Setzer als schriller Leader im Vordergrund und zupft aus seiner 59er Gretsch-Gitarre die halbe amerikanische Musikgeschichte heraus. Von Chuck-Berry-Riffs eilt er über swingende Bebop- Phrasierungen, fliegt solierend über verminderte Jazzakkorde und flicht problemlos Rockriffs eines Keith Richards mit ein.

Was aber treibt das Showbiz dazu, einen Außenseiter wie Brian Setzer auf einmal oben auf die Leiter zu hieven? Keiner kennt diese Antwort, selbst Setzer nicht. „Ich kann es nicht glauben“, staunte er in einem Interview des renommierten Jazzmagazins Downbeat, „in den Konzerten stehen Fünfzehn- und Achtzigjährige nebeneinander und sind plötzlich fasziniert“.

Vielleicht liegt es einfach an dem lebensbejahenden Charakter der Musik. Der Mann stöhnt nicht wie ein Michael Jackson, beklagt nicht den allmorgendlichen Blues und schießt sich keine Kugel in den Kopf wie Kurt Cobain. Setzer kommt wie die alten Good Guys daher: ein Hauch von Sinatra, ein wenig Elvis, ein Schuß Johnny Cash, eine Portion Glenn Miller. Als ob Amerika auf so einen gewartet hätte, auf einen, der sich von der Plastikwelt nicht hat unterkriegen lassen und nun zur allseits bejammerten Jahrtausenwende einen willkommenen Hauch Nostalgie versprüht. Damit der nicht zu bald verpufft, kriegen nun auch Europa und Australien die frohe Swingbotschaft aus den USA verpaßt. In den USA selbst ebbt die Swingwelle dagegen bereits wieder ab. Setzer stört dies wenig, kennt er nach zwanzig Jahren Rock-'n'-Roll- Treue das Auf und Ab des Geschäfts doch nur zu gut. „Ich spiele den Swing, solange diese Musik mich reizt, Musikbusineß her, Musikbusineß hin.“ Marc Bielefeld

4.3. Frankfurt; 5.3. Berlin; 6.3. Hamburg; 8.3. München; 9.3. Düsseldorf

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