"Die UCK ist jetzt eine reguläre Armee"

■ Der Auslandsvertreter der Kosovo-Befreiungsarmee Sabri Kicmari äußert sich erstmals für die UCK zur Entstehungsgeschichte der Organisation. Sie will eine Nationalversammlung abhalten, auf der eine R

taz: Was ist die UÇK? Eine Guerrillatruppe ohne Befehlsstrukturen oder eine Armee, die auf Kommandos hört?

Sabri Kicmari: Die UÇK hat lange Zeit im Untergrund operiert. Aus Sicherheitsgründen mußte sie sich mit Stellungnahmen und Erklärungen über ihre eigene Entwicklung zurückhalten. Jetzt können wir offener sprechen.

Von den Anfängen einer Guerrillabewegung 1993 haben wir uns zu einer regelrechten Armee mit klaren Befehlsstrukturen entwickelt. Die UÇK hat neben der militärischen noch eine Reihe von Unterorganisationen, sogenannte Direktorien. Es gibt ein politisches Direktorium, ein Informationsdirektorium sowie einen Geheimdienst, ein Gesundheitsdirektorium, eines für Erziehung usw.

Kernstück der UÇK ist die militärische Struktur. An der Spitze steht ein Generalstab, der seit kurzem von Sylejman Selimi, dem ehemaligen Kommandanten von Drenica, geleitet wird. Territorial agiert die UÇK in sogenannten Operationszonen, die wiederum von bestimmten Kommandeuren geleitet werden. Inzwischen haben wir auch Sondertruppen, die von einer Operationszone in die andere wechseln können, die also auftauchen, wo es brennt.

Die Existenz eines politischen Direktoriums weist aber darauf hin, daß die UÇK mehr sein will als nur eine Armee. Ist sie auch eine politische Partei?

Bisher mußten wir angesichts des Fehlens von politischen Strukturen auch ein politisches Mandat wahrnehmen. Wir sind aber keine politische Partei und streben auch nicht an, dies zu werden. Wir hoffen, daß noch vor der Fortsetzung der Verhandlungen in Rambouillet (am 15. März, d. Red.) eine Nationalversammlung zusammentreten kann, die eine Regierung wählt. Einige der Mitglieder des politischen Direktoriums werden dann in dieser Staatsstruktur vertreten sein. Die UÇK wird dann nur noch als reguläre Armee auftreten.

Die UÇK tritt jetzt also offen auf. Ihre Geschichte liegt aber weiter im Dunkeln.

Die heutige Struktur ist das Resultat einer sechsjährigen Entwicklung. Die UÇK wurde im Sommer 1993 gegründet. Schon vorher hatten einige unabhängig voneinander operierende Gruppen der Kosovo-Albaner den bewaffneten Kampf aufgenommen.

Doch der Anstoß zur Gründung der UÇK kam, als die internationale Gemeinschaft erstmals einen Friedensplan für das ehemalige Jugoslawien auf der Londoner Konferenz Ende August 1992 diskutierte. Damals wurde zwar die Unabhängigkeit Kroatiens, Sloweniens, Bosnien-Herzegowinas und Makedoniens bestätigt, am Status des Kosovo als Teil Serbiens aber nicht gerüttelt.

Mit bewaffneten Aktionen sollte klargemacht werden, daß die Kosovo-Albaner sich mit diesem Status nicht abfinden wollten, sondern die Unabhängigkeit anstrebten. Kurz nach der Londoner Konferenz beriet die „Volksbewegung Kosovas“ (Levizja Populore e Kosoves – LPK) – das ist eine politische Partei – die Frage des bewaffneten Kampfes. Ein Teil der Mitglieder gründete zusammen mit einer Reihe von unabhängigen Leuten die UÇK.

Damals, im Sommer 1993, wurde erstmals ein zentraler Stab organisiert, der die Gruppen anleiten sollte. Die Mitglieder haben sich in der Regel nicht untereinander gekannt, nur jene, die an gemeinsamen Aktionen teilgenommen haben. Diese Struktur war nötig, weil der serbische Geheimdienst versuchte, Informationen über die UÇK zu beschaffen. 1993 gab es die erste bewaffnete Aktion: In Drenica wurden zwei serbische Polizisten getötet und drei weitere verletzt.

Bisher ging man davon aus, daß die UÇK von Albanern im Exil gegründet wurde und auch vom Ausland aus gesteuert wird.

Nein, die UÇK entstand im Kosovo selbst. Es gab allerdings auch Mitglieder der LPK im Ausland, die von Anfang an die UÇK unterstützt haben. Sicherlich kamen Leute aus dem Ausland, um zu kämpfen. Einzelne Kämpfer aus dem Exil sind sogar in den Generalstab integriert worden. Mitglieder des Generalstabs dürfen aber nicht im Ausland leben, dies ist von seiten der UÇK nicht erlaubt.

In den Jahren 1995/96 fiel die UÇK aber auch dadurch auf, daß sie Kosovo-Albaner umbrachte.

Angesichts der Infiltrationsversuche der serbischen Geheimdienste mußte die UÇK nicht nur gegen serbische Polizisten und Armeeangehörige kämpfen, sondern auch gegen jene Albaner, die mit den Serben zusammenarbeiteten. Der Generalstab der UÇK hat die Tätigkeit dieser Kollaborateure erst einmal überprüft und, nachdem ihre Schuld als erwiesen galt, den Befehl gegeben, Anschläge auf sie zu verüben.

Im Jahre 1996 sind dabei immerhin über 20 Menschen getötet worden...

Es gab aber in jedem einzelnen Fall ein Verfahren. Erst nach der Entscheidung des Generalstabs wurde der Befehl ausgeführt.

Wie viele Leute waren zu diesem Zeitpunkt, also bis Anfang 1997, in der UÇK? Stimmen die bisher gehandelten Zahlen von um die 500?

Ich kann diese Zahl weder bestätigen noch dementieren. Aber ich weiß, daß die UÇK schon 1994 in den großen Gemeinden existierte, nicht aber in jedem Dorf. Dies hat sich erst während des Krieges entwickelt.

Eine wichtige Rolle für die Logistik der UÇK spielt Albanien. Wie war die Position der UÇK, als Staatschef Sali Berisha 1997 nach Aufständen abgewählt wurde?

Was den albanischen Staat angeht, gibt es eine festgelegte Linie: Die UÇK will sich nicht einmischen, sie hat Respekt vor den dortigen Staatsorganen, sie nimmt nicht Partei für diese oder jene politische Strömung. Die UÇK hat sich auch 1997 nicht eingemischt, sie hat die Parteien in Albanien nur aufgefordert, eine politische Lösung zu finden.

Sali Berisha hat die UÇK damals nicht unterstützt, es gab sogar Schwierigkeiten mit ihm während seiner Regierungzeit. Berisha stand der Partei Rugovas sehr nahe. Ich freue mich aber, daß Berisha heute seine Meinung geändert hat.

Hat die UÇK heute im Norden Albaniens, der Region Berishas, leichtes Spiel?

Die UÇK wird sowohl im Norden wie im Süden von der albanischen Bevölkerung unterstützt. Die Verbindungswege in den Kosovo verlaufen über die nördliche Region, dort gibt es auch familiäre Verbindungen.

Die UÇK begann im Winter 1997/98, befreite Gebiete auszurufen. Wie stehen Sie heute zu dieser damals im Kosovo auch kritisierten Strategie?

Im Herbst 1997 hat man noch nicht über befreite Gebiete nachgedacht. Man dachte aber daran, sich offen in der Bevölkerung zu zeigen. Weil Ibrahim Rugova (der kosovo-albanische Präsident und Gegenspieler der UÇK, d. Red.) damals erklärte, wir seien von serbischer Seite gesteuert, mußten wir beweisen, daß wir das nicht sind. So hat man Wachen in den Dörfern organisiert.

Im Oktober 1997 wurde ein Kämpfer der UÇK getötet, der eine Uniform getragen hat. Am 26. November 1997 wehrten sich Einheiten der UÇK in Drenica, als serbische Truppen die Region angreifen wollten. Am 28. November hat ein UÇK-Vertreter erstmals offen in Uniform am Grab eines Lehrers eine Rede gehalten. Am 22. Januar 1998 erfolgte von seiten der serbischen Polizei der erste Angriff auf die Familie Jashari, dann kam am 28. Februar das erste Massaker an Zivilisten in Likoshani, wo eine ganze Familie ausgelöscht wurde, die mit der UÇK nicht in Verbindung stand, und dann am 6. März das Massaker an der Jashari- Familie.

Die serbische Strategie bestand darin, durch diese Aktionen Angst und Schrecken unter der albanischen Bevölkerung zu verbreiten und die UÇK zu isolieren. Doch das Ergebnis war gegenteilig: die Leute begriffen, daß die serbischen Einheiten nicht gegen die UÇK, sondern gegen die Albaner insgesamt vorgingen. Angesichts der serbischen Angriffe wollte die Bevölkerung Waffen. Es gab in vielen Dörfern Initiativen, Verteidigungskomitees zu bilden, also selbst eine UÇK zu organisieren, ohne eine Verbindung zum Generalstab der wirkichen UÇK zu haben.

Die UÇK war organisatorisch überfordert. Zwar begann schon während der serbischen Offensive im Sommer 1998 ein Reorganisationsprozeß. Die selbsternannten Gruppen hatten die Aufgabe, die Bevölkerung bei Angriffen in Sicherheit zu bringen, während die UÇK versuchte, sich als Armee zu konstituieren.

Viele Kosovo-Albaner waren aber enttäuscht. Sie hofften, die UÇK würde in eine Volksarmee umgewandelt. Doch die UÇK war nicht in der Lage, die Dörfer zu schützen. Immerhin mußten damals 500.000 Menschen fliehen, obwohl viele Gegenden von der UÇK zu befreiten Gebieten erklärt worden waren.

Richtig, damals war die UÇK noch nicht so weit, alle Gebiete zu verteidigen, obwohl sie von der UÇK kontrolliert waren. Immerhin gelang es in den meisten Fällen, die Bevölkerung zu evakuieren. Es kam während dieser Zeit aber auch zu falschen Entscheidungen, wie in Orahovac.

Was ist dort geschehen?

Der eigentliche Kommandeur war abwesend, als die dort ansässige UÇK-Truppe sich im Juli 1998 entschloß, ohne Befehl durch den Generalstab die Stadt zu übernehmen. Als die serbische Polizei anfänglich zurückwich, hat der Stellvertreter geglaubt, die Stadt sei leicht zu halten. Die Bevölkerung reagierte positiv, die UÇK wurde unterstützt. Aber als es dann zur großen Offensive der Serben kam, wurde der Befehl zum Rückzug gegeben. Es gab eine konfuse Situation. Nicht alle Bewohner konnten benachrichtigt werden, so waren sie der Gewalt der serbischen Spezialpolizei ausgesetzt, es kam zu großen Verbrechen.

Kurz darauf gab es eine weitere Niederlage, nämlich in Malishevo, dem damaligen Hauptquartier der UÇK in Zentralkosovo.

In Malishevo kann man nicht von Niederlage sprechen, es war ein taktischer Rückzug, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Die serbische Seite hatte schon vorher den Plan, dort die UÇK anzugreifen. Es war natürlich sehr schwer, die serbische Offensive zu stoppen. Die Bewaffnung der UÇK war nicht mit der Bewaffnung der Serben zu vergleichen, die Serben waren weit überlegen.

Ist die UÇK jetzt eine Volksarmee? Und wie stark ist sie jetzt?

Wir sind jetzt weder eine Guerrilla noch eine Volksarmee. Wir sind eine professionelle Armee geworden. Über die Mannschaftsstärke darf ich nichts sagen. Natürlich wollen weit mehr Männer bei uns dienen, als es möglich ist. Aber nach wie vor wollen wir über die Quantität die Qualität nicht vernachlässigen. Festzuhalten ist: Es gibt eine klare Entscheidungsstruktur der UÇK. Interview: Erich Rathfelder