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Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verhöhnt –betr.: „Öcalans Anwälte erleben den Rechtsstaat à la Türkei“, taz vom 27. 2. 99

[...] Herrn Öcalan wurde erst nach dem offiziellen Abschluß der Verhöre eine überwachte Unterredung mit zwei präselektierten Anwälten gewährt, von denen der eine wenig später verhaftet, dem anderen der Schutz gegen aufgebrachte PKK-Gegner verwehrt wurde, so daß dieser das Mandat niederlegte. Bleibt nur noch ein vom Staat – in diesem Verfahren also der gegnerischen Partei – eingesetzter Zwangsverteidiger. In welch hochmütiger Weise die türkische Regierung so die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verhöhnt, darf gerade in der BRD nicht ignoriert werden.

So war es doch eine bundesdeutsche Delegation (unter anderem der ehemalige Berliner Innensenator Heinrich Lummer, CDU, und Klaus Grünewald vom Verfassungsschutz), die im August 1995 zu Gesprächen mit PKK-Vorsitzenden nach Syrien reiste. Öcalan setzte innerhalb der PKK den dabei ausgehandelten Gewaltverzicht für Deutschland erfolgreich durch und demonstrierte so sein Streben nach einer politischen Lösung der Kurdenfrage. Zwar nahm man im Gegenzug in Deutschland fortan friedliche Aktionen der Kurdischen Arbeiterpartei stillschweigend hin, doch auf seiner Odyssee der vergangenen Monate wurde Öcalan scheinbar nicht mehr als angemessener Gesprächspartner erachtet.

Zweifellos müssen die Verantwortlichen für Anschläge in Europa und der Türkei zur Verantwortung gezogen werden. Die Angst vor militanten Ausschreitungen im Falle einer Anklage, Verhandlung und Inhaftierung in der Bundesrepublik oder einem anderen europäischen Land kann dabei jedoch kaum als Argument zählen, den PKK-Chef und Gesprächspartner von damals der Rachejustiz seines politischen Gegners zu überlassen. [...] Ein Prozeß vor einem europäischen Gericht hätte zwangsläufig auch die türkische Kurdenpolitik miteinbezogen und damit bedenkliche Fakten über den Umgang mit Minderheiten in der Türkei an den Tag gebracht. Welche Regierung hätte dann den Bündnispartner Türkei noch guten Gewissens in der gewohnten Weise umwerben können?

Auch wenn oder gerade weil dies im Fall Öcalan nun nicht in einem EU-Staat passiert, sollte sich die Bundesregierung mit all ihrem Einfluß für ein faires und öffentliches Verfahren einsetzen. Barbara Brunnbauer, Braunschweig

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