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Die schrecklichste Bestie der Welt    ■ Von Karl Wegmann

Es gibt nichts Grausameres als ein Kind. Gib ihm ein Streichholz, und es brennt die Welt nieder – sagt man. Auch eine verschmähte Frau soll äußerst gefährlich sein, außerdem Hollywood-Monster wie der Serienmörder, der die Leber seines Opfers mit Bohnen und Rotwein verspeist, diverse Raubfische, Terminatoren und kleinstadtverwüstende Saurier.

Das alles ist lächerlich harmlos. Ich sage euch: Die schrecklichste Bestie dieses Planeten ist ein Mann, der sich gerade das Rauchen abgewöhnt hat. Nur die sehr, sehr dünne Lackschicht der Zivilisation hält ihn davon ab,mordend durch die Gegend zu stapfen. O ja, ich bin so ein Mr. Hyde. Am 2. Januar um 12 Uhr mittags habe ich meinen täglichen Zigarettenkonsum von 30 auf null gestellt. Seitdem bin ich ein anderer Mensch, nein, kein Mensch, ein angeschossenes, wildes Tier. Mein Körper schreit nach Nikotin. Mein Hirn hat den Humor aus- und die Aggression, vorher nie gebraucht, angestellt. Kleine Schwächen meiner Mitmenschen bringen mich an den Rand der Raserei. Der Opa im Supermarkt an der Kasse, der seine Geldbörse nicht findet: Ich male mir genüßlich aus, wie ich ihm zwei Hohlspitzgeschosse in den Schädel jage. Platsch! knallt seine Gehirnmasse, durchsetzt mit klitzekleinen Knochensplittern, auf die No-name-Spaghetti. Jaja, ich weiß, das ist ekelhaft – allein, ich kann nichts dagegen machen.

Ich fresse wie ein Schwein, bin im Kaufrausch (Alternative-Country-CDs und Orginalradierungen von Janosch) und hänge düsteren Gedanken nach. Bis letzten Samstag dachte ich, in spätestens drei Monaten sei alles vorbei. Ha! „Der körperliche Entzug dauert mindestens ein halbes Jahr“, sagt Bärbel. Die muß es wissen, sie ist Ärztin und hat selbst aufgehört zu rauchen.

Also schweben die Menschen in meiner Umgebung weiterhin in Lebensgefahr. Die kleine Studentin zum Beispiel, die über mir wohnt, die ist jetzt dran. Die stopft nämlich immer ihren Biomüll in eine gottverdammte Plastiktüte, bevor sie ihn in die braune Tonne schmeißt. Plastik in die Biotonne! Todesstrafe! Ich werde sie in kleine Stücke schneiden und auf zwei, drei Beutel aus recyceltem Papier verteilen. Dann ab in die Biotonne damit. Da kann sie dann über Umweltschmutz und grundlose Provokationen von ehemals Nikotinsüchtigen nachdenken. Töten! Töten! Töten! Scheiß Waffengesetze: Es wäre sehr beruhigend, mit einem Präzisionsgewehr auf einen Kirchturm zu steigen und ein paar Autofahrer abzuknallen.

Hey, das bin nicht ich, der sich das wünscht, das ist derMarlboro-Mann in mir. Ich stelle Abschußlisten auf: Die Nachrichtensprecherin aus dem Fernsehen, der unfreundliche Mann an der Kebab-Bude, die Rotzgöre von der Nachbarin.... Es sind ganz schön viele. Ich brauche eine Beretta 9mm oder besser eine Uzi .Oder beides. Mein Gott, ich war mal Kriegsdienstverweigerer. Egal!

„Durchhalten“, sagt Bärbel. Also träume ich weiterhin vom Massenmord, höre Bonnie „Prince“ Billy und wünsche mir zum Geburtstag zwei Dutzend teflonbeschichteter Hochgeschwindigkeitsgeschosse (die machen riesige Austrittswunden). Eine Unsicherheit bleibt: Hat die Tabakreklame recht? Vielleicht sind Raucher ja doch die besseren Menschen.

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