piwik no script img

„An der Basis brennt es“

■ Unliebsames Thema „Eßstörungen“: Bremer Gesundheitsressort drückt sich um Beratungs- und Hilfsangebote, die andere Städte schon seit Jahren vorhalten

Sie nennen sich „Dick und Dünn“, bieten eßgestörten Frauen Hilfe an und existieren in 17 bundesdeutschen Städten seit mehreren Jahren. In Bremen dagegen sind solche Beratungsstellen unbekannt. Seit zwei Jahren kämpfen Bremer Mädchentreffs, der „Elternkreis eßgestörter Töchter und Söhne“ und mittlerweile auch parteiübergreifend alle Bürgerschaftsfraktionen gegen diese Misere an. Doch im Hause von Gesundheitssenatorin Tine Wischer (SPD) fehlt dafür offenbar immer noch das nötige Problembewußtsein.

Schon im Dezember hätte die Gesundheitsbehörde eigentlich ein von der Bürgerschaft gefordertes Hilfskonzept vorlegen müssen. Im Januar kam dann für Mädchentreffs und Elternkreis der erste Schock: Die Gesundheitsbehörde ermittelte zwar immens hohe Betroffenenzahlen und das Fehlen „spezieller Beratungsangebote“ gerade für sehr junge Mädchen und Frauen. Trotzdem schlug sie für die fast 3.600 Betroffenen erstmal neben mehr Prävention nur ein Info-Telefon im Gesundheitsamt vor.

Das von Frauen- und Gesundheitspolitikern unisono geforderte „Nachbessern“ hat jetzt offenbar nicht viel genutzt: Der heute im Jugendhilfeausschuß vorgelegte Ergänzungsbericht kommt den Engagierten weiter wie ein Stückwerk vor. Statt wie gefordert gerade niedrigschwellige neue Beratungs- und Gruppenangebote z.B. in Mädchentreffs einzurichten, schlägt die Gesundheitsbehörde dies nun für die bestehenden staatlichen Erziehungsberatungsstellen vor. „Zu solch behördlichen Stellen geht doch kein Mädchen“, sagt dazu nur trocken Elke Rohan vom Mädchentreff „Gewitterziegen“.

Beim lieben Geld sieht man nun den eigentlichen Hemmschuh. Denn schon der erste Bericht verzichtete offenbar aus Kostengründen auf neue Angebote. Jetzt fehlen weiter konkrete Zusagen: Man wolle für die Mädchentreffs erreichen, daß in den „bestehenden Angebotsstrukturen Beratungsgruppen entstehen oder fortgesetzt werden können“, heißt es zum Beispiel im Ergänzungsbericht. „Ohne neue Fachkräfte ist das leider nicht zu machen“, sagt dazu Elke Rohan. „An der Basis brennt es nämlich. Jede Woche rufen neue Mädchen mit Eßproblemen an“, klagt sie, „die Nachfrage steigt ständig und wir kommen da nicht mehr gegen an.“

Klare Worte – aber die einstigen KritikerInnen wollen jetzt nicht „mit dem Kopf durch die Wand“, sagt CDU-Sozialpolitikerin Silke Striezel. Auch die grüne Antrags-Initiatorin Maria Spieker meint: „Da tut sich was.“ Beide hatten den Bericht im Januar noch massiv kritisiert. Jetzt wollen sie zwar „weiter bohren“, loben den Bericht vor der heutigen Ausschußsitzung aber diplomatisch als „Schritt in die richtige Richtung“. So sei Prävention an verschiedensten Stellen geplant: Tatsächlich ist dafür eine neue ABM-Stelle angekündigt. Ein „ungeliebtes Kind“ sei das Thema aber offenbar in der Behörde, meint CDU-Frau Striezel. Da dürfe man eben „keine Riesenschritte“ erwarten, sagt sie. Die Sozialpolitikerin will aber nun in der Koalitionsrunde bei der Senatorin Druck machen. In ihrem „Riesenbudget“ sei nämlich durchaus „noch Luft da“.

Zwei Beratungsstellen vor Ort und jeweils eine halbe Stelle in den vier Bremer Regionen – das wäre der „Wunschtraum“ der mittlerweile zu einem „Runden Tisch“ zusammengetretenen Mädchentreffs, des „Elternkreises eßgestörter Töchter und Söhne“ und der „Suchtprävention Bremen“. Eben Angebote ähnlich wie in Kiel, Hannover und Hamburg. Aber da hatte sich die Behörde wohlweislich erst gar nicht richtig erkundigt. In Hamburg z.B. entstand die Beratungsstelle „Waage“ zwar erst auf Eigeninitiative durch Vereinsgründung. Seit drei Jahren aber hat sie einen eigenen Haushaltstitel bei der Stadt: „Weil der zuständige Referent für Drogen und Sucht endlich eingesehen hat: Da ist ein riesiger Bedarf“, erklärt Beraterin Barbara Sturm. Katja Ubben

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen