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Katastrophen ■ Von Fanny Müller
Wenn es die Bildzeitung nur in Norddeutschland gäbe, dann müßten die Redakteure noch mehr Schnaps saufen, um eine gute Titelzeile hinzukriegen. Hier gibt es weder Berge noch Schnee und daher auch keine Killerlawinen; Killerregen hört sich ja bloß doof an. Und Killerhundescheiße ist irgendwie zu lang, obwohl das die Sachlage in Hamburg ziemlich genau trifft. Eine kleine Schneekatastrophe wäre da manchmal eine Gnade. Mal ehrlich: Die meisten Leute sind doch ganz scharf auf Katastrophen. Warum kucken die sich sonst die Formel 1-Rennen an? Oder verbringen Weihnachten mit der Familie?
In diesem Winter hätte ich aber gar keine Schneekatastrophe gebrauchen können. Das hätte sich nicht gelohnt, weil ich sowieso krankgeschrieben war. Die letzte habe ich 1979 erlebt, da waren Birgitta und ich plus Anhang über Weihnachten in Dänemark und krochen dort auf der Rückfahrt über die Landstraßen, bis wir endgültig steckenblieben. Die Autoheizung ging nicht mehr und vorerst kamen auch keine anderen Fahrzeuge vorbei. Wenn doch welche auftauchten, unterhielt Detlef uns mit Ausweichregeln aus der Schiffahrt: Kommt rotweißgrün voraus in Sicht – mittschiffs das Ruder und Augen dicht? Das half auch nicht weiter.
Michi erzählte uns alles über matlabinterne Richtungsfelder für Wallachsche Wahrnehmungsphänomene, was uns auch nicht gerade aufheiterte. Es wurde immer kälter. Birgitta sagte, daß sie jetzt doch lieber eine Feuerbestattung wünsche, falls es zum Schlimmsten käme. Schließlich wurden wir aber vom dänischenTechnischen Hilfswerk aufgelesen, das uns in eine Schule verfrachtete, wo sich bereits ein paar Dutzend Menschen aufhielten. Da habe ich von einem Schweden ein Kartenspiel gelernt, welches „Pouf“ heißt und hilft, jede Art von Katastrophen bestens zu überbrücken. Leider waren auch ein paar deutsche Blockwarte dabei, die glaubten, sie müßten jetzt alles organisieren, die Drecksäcke. Die Dänen ließen sie aber nicht. Bei der Neujahrsansprache der Königin im Fernsehen standen alle Dänen auf und wunderten sich, da wir unsere Hintern nicht von den Sesseln erhoben (bis auf die Drecksäcke), als unser respektives Staatsoberhaupt – wer war das eigentlich, der Dicke, oder wars der Dings aus Hamburg? – seine Rede vom Stapel ließ. Leider wurde die Autobahn dann geräumt, so daß wir alle zu Arbeitsbeginn wieder in Hamburg waren. Bei Wie-heißt-er-mal-noch fällt mir ein, ich habe ja noch eine Katastrophe mitgekriegt, nämlich die Flutkatastrophe von 1962, da arbeitete ich auf Sylt. Die war auch keine reine Freude, weil die Arbeit nicht ausfiel, sondern ganz im Gegenteil. Die Kollegen, die übers Wochenende aufs Festland gefahren waren, konnten nicht über den kaputten Hindenburgdamm zurückkommen, und da mußte ich dann alles machen, obwohl ich bloß Lehrling war. Der Keller des Restaurants war bis obenhin voll Wasser gelaufen, das durfte ich alleine ausschöpfen. Das Wasser hatte alle Etiketten von den Dosen und Flaschen abgelöst, und der Chef verscheuerte die Sachen später für eine Mark pro Stück. Wenn man Glück hatte, erwischte man einen Spitzenwein und eine Büchse Kaviar. Ich erwischte eine Flasche Küchensherry und Hering in Tomatensoße. Eine Katastrophe!
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