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Grau-schwarzer Trott im grünen Lager –betr.: „Mit Verlaub, Herr Außenminister, Sie sind ein Schwätzer!“, taz vom 4. 3. 99

Was bei euch mit dem Deckmantel Schröderscher Innovations- und Modernisierungsterminologie daherkommt, ist de facto nichts anderes als eine konservative Restauration, ebenso neu und fortschrittlich wie das Neue Testament oder der Neoliberalismus: weniger Fischer, mehr Westerwelle! Dieses mit dem Attribut „radikal“ zu versehen ist allerdings eine mehr als nur peinliche Sprachverirrung. Denn den revolutionären Gestus begleitet ein Inhalt, welcher sich gerade mit der Person Fischers seit Jahren als schleichender grau-schwarzer Trott im grünen Lager fett macht. In den seichten Arbeit-und-Ausbildungsplatz-Chor aller deutschen Parteien mit voller grüner Lunge einzusteigen, kann es an Radikalität wahrlich nur noch mit den jungen Wilden oder dem Silvestervertrag des Kanzlers mit „den jungen Menschen“ aufnehmen. Darüber täuschen auch kein peppiger Jugendslang oder freche Anglizismen hinweg.

Liebe Jungs und Mädchen, bevor mit Schulsponsoring und Tele- Working ein Herzogscher Ruck durch eure Partei geht, laßt euch sagen: Ein glatter Kinderpopo macht noch keinen politischen Revolutionär. Geht lieber noch mal mit Papa Aufstand üben, sonst wähl' ich, falls ihr was zu melden bekommen solltet, das Original: die FDP. Benjamin Adamczak, 19, Nauheim

Der langsame Absturz der Grünen in der Gunst der Jungwähler ist tatsächlich nicht durch technische Reformen zu lösen. Ob die grüne Spitze nun doppelt oder einfach besetzt ist, mag für Joschka Fischers Büroleitung von Bedeutung sein, Jugendliche interessiert das nicht. Vielmehr ist das grüne „agenda-setting“ das Problem. Schon seit Jahren rangiert Umwelt für Teens und Twens nicht mehr an Nr. 1., die Jobaussichten stehen an erster Stelle. Welch Wunder in einem Land, indem man/frau sich in erster Linie über den Beruf definiert. Die meisten grünen Funktionäre sind im gesetzten Alter und oftmals als Beamte gut versorgt, da ist der Kopf frei für anderes als das liebe Geld.

Ich bin 20 und weiß noch nicht, wie ich später für mein Einkommen sorgen soll, so wie meine ganze Generation. Ich bin auch aktiver Grüner, will die Themen und die Partei verjüngen. Das allerdings ist nicht einfach in einem Laden, in dem jeder, der einen grünen Traumballon platzen läßt, als neoliberal beschimpft wird. [...]

Die 68er haben ihren Eltern das „Wir haben das schon immer so gemacht“ ausgetrieben, vielleicht müssen die 99er dasselbe mit den 68ern tun. Börje Wichert, Witten

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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