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Ausgestopfte Dackel am Bahnsteig

■ Zwei Ausstellungen zeigen Kunst in öffentlichen Schaukästen und Schaufenstern

Wir erinnern uns: Spätestens seitdem ein junger Künstler zu Beginn dieses Jahrhunderts behauptete, daß eine von ihm installierte, industriell gefertigte Toilettenschüssel ein Kunstwerk sei, änderte sich der Begriff des Kunstwerks. Der Künstler hieß Marcel Duchamp und sein Pissoir reist heutzutage von einer Ausstellung zur nächsten. Daß Kunstwerke inzwischen nicht nur an Orten auftauchen, an denen sie traditionellerweise zu erwarten sind, im Museum also oder in der Galerie, ist hingegen ein Trend der jüngeren Vergangenheit. Sei es als repräsentative Kunst an Bauten von Institutionen oder als illegal gespraytes Graffitti: Kunst drängt in den Stadtraum.

Und in Schaukästen und Schaufenster. Die für Kunst zu nutzen verbindet einen hohen Grad an Öffentlichkeit mit einem geringen Maß an erkennbarer „Achtung Kunst“-Aura. Kunst kommt als Warenauslage getarnt daher. In Konkurrenz zu vielen anderen Sehreizen versucht das Kunstwerk, die Aufmerksamkeit flüchtiger Passanten auf sich zu ziehen.

In den U-Bahn-Stationen Hauptbahnhof Nord, Meßberg und an der Barmbeker Straße in Winterhude sind derzeit Beispiele dieser Schaufensterkunst zu sehen. Der Verein „weltbekannt e.V.“, Verein zur Förderung kultureller Aktivitäten, bestückt bereits seit 1987 U-Bahn-Schaukästen. Unterstützt durch die Hamburger Kulturbehörde und die Hamburger Verkehrsmittelwerbung (HVW) fanden mehr als zehn Ausstellungen statt. „Überlegungen, wie eine Diskussion über künstlerische Inhalte angeregt werden kann, veränderten das Konzept“, erklärt Barbara Noell, Sprecherin des Vereins. Damit das vorbeilaufende Publikum bei Bedarf auch einen Ansprechpartner vorfindet, besteht seit 1991 eine Art „Briefkastenfirma“, so Noell. Über eine Postadresse und einen Anrufbeantworter entsteht der Dialog. Direkter Kontakt zwischen Künstlern, Kunst und Betrachtern bietet zeitweilig der Kiosk in der Station Messberg. Der Verein macht ihn bei multimedialen Projekten begehbar, zeitweilig sogar zum Kunstgeschäft.

Bei der derzeitigen Ausstellung im Schaukasten, Jägerstübchen betitelt, öffnete die Hamburger Künstlerin Maria Leverenz die Kioskpforten nur zur Vernissage. Was schon den taz-Zeichner Tom zum Hundebesitzerhasser-Comic Der Exkreminator anregte, könnte ebenso Maria Leverenz inspiriert haben. Sie trachtet den treuen Haustieren nach dem Leben. Resultat: Jagdtrophäen. Ausgestopfte Dackel, Foxterrier, Schäferhunde zieren Schaukästen an den U-Bahn-Linien 1 und 2. Auch die Instrumente, die die Hunde vermeintlich zur Strecke brachten, liegen aus. Doch die Waffen sind nicht echt, die Tiere nicht tot. Alle knubbeligen Trophäen imitieren bloß ihre lebenden Vorbilder, besitzen eine Haut aus Nessel und ein Innenleben aus Stroh. Daß die ehemalige Textildesign-Absolventin die Gewalt gegen die Attrappen-Hunde nicht ganz ernst meint, will sie mit einem im Schaukasten angebrachten Text zeigen, der die Jagd auf das „Wappentier des Deutschen“ persifliert. Daß die Installation ohne den humorigen Text Assoziationen zum Bosnienkrieg auslöste, bekam Leverenz von interessierten Passanten zu hören, während sie Gewehre und Hunde in Schaukästen und Kiosk arrangierte.

Zurück über die Erde. Schaufenstergestaltungen frei von Geldern der öffentlichen Hand konzipiert und arrangiert Monika Baum. Schon seit mehreren Jahren bringt Baum Gewerbetreibende und Künstler zusammen. Bisweilen entstehen dabei ungewöhnliche Verbindungen. Im Fenster des Beerdigungsinstitutes „Die Bestatterin“ an der Barmbeker Straße in Winterhude hängt eine neunteilige Fotoarbeit von Gabriela Goronzy.

Über einem Beet aus Torf schwebt das Porträt eines Statuenhauptes. Schwarze Flecken dringen in die Marmoroberfläche ein, Spinnweben überziehen den Kopf der Grabfigur. „Der Tod ist als Haltung immer vorhanden“, so die Künstlerin. Die Bestattungsunternehmerin Christa Grotepaß ihrerseits hatte sich seit mehreren Jahren bemüht, Künstler für die Auslagengestaltung zu gewinnen. Da paßte es gut, daß Gabriela Goronzy schon seit längerem fotografisch zum Thema Tod arbeitete. Von einer Auftragsarbeit zu Dekozwecken kann deshalb nicht die Rede sein. Die Bestatterin entrichtet an die Künstlerin für die Fotoarbeit eine Leihgebühr. „Das ist eine Form des Kultursponsoring“, sagt Kunstvermittlerin Monika Baum. Ergänzend fügt sie an: „Natürlich ist das für die Geschäfte auch Imagewerbung“. Ute Brandenburger

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