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Eine Stunde in der Dunkelheit

■ Auf zum Internationalen Knulla-Tag und zur Bonk-Nacht!

„Knulla“ ist Schwedisch und bedeutet vögeln. Und „knulla“ ist genau das, was den EinwohnerInnen der nordschwedischen Stadt Piteå als nationale Ehrenaufgabe für den 17. März auferlegt worden ist.

Von diesem Mittwoch an, haben die einheimischen Ärzte nämlich ausgerechnet, ist es nur noch eine Normalschwangerschaftsdauer bis zum ersten Tag des neuen Jahrtausends. Und für den plant das Krankenhaus in Piteå schon jetzt zusätzliches Personal ein: Am 1. Januar 2000, so hoffen Bürgermeister, Stadtväter und

-mütter, soll die Einwohnerzahl der ökonomisch kriselnden Kommune sprunghaft steigen.

Voraussetzung hierfür ist natürlich, daß es am 17. März auch wirklich heiß hergeht in den Betten Piteås. Zur Not auch auf Sofas, Küchentischen und Wohnzimmerteppichen. Den Startschuß gibt deshalb ein einstündiger Stromausfall zur abendlichen Hauptfernsehzeit. Null Licht, null Fernsehen und für alle auf Elektroheizung Angewiesene auch null außerkörperliche Wärme: Was neun Monate nach dem großen und ungeplanten Blackout vor einigen Jahren in New York passierte, als Lichter ausgingen, Fahrstühle steckenblieben und Fernseher erloschen, können wir ganz gezielt in Heimarbeit zusammenschneidern beziehungsweise „knulla“, so die Idee des Stadtrats von Piteå.

„Bitte nicht stören“-Türschilder wurden zur Vorbereitung auf den Tag K ebenso kostenlos verteilt wie Stearinkerzen, um trotz Stromausfall zumindest die allernotwendigsten Umrisse in den dunklen Wohnungen ausleuchten zu können.

Und wenn die Bereitschaft zur nationalen Heldentat unter dem fruchtbaren Teil der PiteånerInnen nur einen Bruchteil so groß ist wie das Medienecho, das der „Knulla-Tag“ mittlerweile ausgelöst hat, wird in der Entbindungsabteilung um den Jahreswechsel herum das reinste Chaos herrschen. 50.000 Kronen, (12.000 Mark) hat die Stadt Piteå als Preis in dem Gebärwettrennen für das Paar ausgesetzt, welches nach dem Silvesterläuten das erste Baby des Jahres 2000 abliefert.

Mit dieser Preisidee steht man natürlich nicht weltweit allein. Die russische Komsomolskaja Pravda beispielsweise, die den 27. März für den besten Termin hält, wird ein Auto als Belohnung für den ersten Neugeborenenschrei in Rußland im Jahr 2000 bereitstellen. - und damit in einem Land mit elf Zeitzonen möglicherweise einige Rechenprobleme bekommen.

Auch in England streiten die ExpertInnen noch um den sichersten „Knulla“-Tag – oder „Bonk-Night“ auf gut englisch – den man nach Meinung des Observer aber eher besser verstreichen lassen sollte, will man ein einigermaßen ungestörtes Geburtserlebnis genießen: Mehrere Fernsehgesellschaften haben mit den großen Krankenhäusern des Landes schon Abkommen geschlossen, um mit Kamera, Lampen und Mikrophon dabei sein zu können, wenn in der Neujahrsnacht die ersten Neugeborenen das (Medien-)Licht dieser Welt erblicken.

Und auch der Aufschrei der römisch-katholischen Kirche („Kinder bekommt man fürs Leben, nicht für den Jahrtausendwechsel“), hat die Fernsehgesellschaft Yorkshire Television (YTV) nicht daran gehindert, mit der Einspielung einer Fernseh-Dokumentation über zehn Paare zu beginnen, die darum konkurrieren, so nahe am Jahrtausendwechsel wie möglich ein Kind in die Welt zu setzen. Für Yorkshire Television gehen die Schwangerschafts-Uhren offenbar ganz anders, nämlich später und schneller als in Piteå, da man die „Bonk-Night“ auf den 10. April gesetzt hat und an diesem Abend ein Naturprogramm zum Paarungsverhalten bei Tieren ausstrahlt.

Falls es wirklich wahr sein sollte, was in den Medien allüberall aufgetischt wird, und es Legionen werdender Eltern gibt, die kein anderes Ziel haben, als pünktlich zum 1. 1. 2000 Mutter und Vater zu werden, kann man sich die dramatischen Szenen, die sich in der Neujahrsnacht abspielen werden, bereits vorstellen. Väter mit Stoppuhren in der Hand, die versuchen, die mit feuerrotem Kopf mitten in den Preßwehen liegende Gemahlin zu überzeugen, doch bitte noch ein wenig zu warten: „Liebling, es ist doch erst Viertel vor zwölf, denk doch an die Kohle!“ Paare, die im Krankenhaus die Treppen hoch und runter rennen und auf dem Gang vor der Geburtsstation zusammen hopsen, um damit das dummerweise verspätete Baby zu beschleunigen. Und das Ganze noch in der Ungewißheit, ob die Computerverantwortlichen des Krankenhauses das Jahrtausendproblem im Griff haben und nicht etwa Punkt zwölf das gesamte Datensystem unter Piepen und Rotlichtblinken zusammenbricht.

Der Neuseeländer Richard Fischer – auf der Doppelinsel wird im übrigen der 9. April als bester Produktionstag verkauft – setzt dem Vertrauen in das Planungsvermögen werdender Eltern einen deutlichen Dämpfer. Der Autor des Buches „How to make babies“ hat eine Wahrscheinlichkeit von lediglich sechs Prozent dafür errechnet, daß ein pünktlicher Knull in der Bonk-Night auch zum erwünschten Jahrtausendbaby führt.

Vielleicht sollte man also lieber andere Jahrtausendpremieren planen, die zudem den Vorteil haben könnten, den nicht mehr fruchtbaren Teil der Weltbevölkerung nicht von vornherein zu diskriminieren. Wer wird erster Einbrecher, erster Flugzeugentführer des neuen Jahrtausends? Erste Frau, die ihren Mann verläßt? Erster Politiker, der freiwillig seinen Posten räumt? Erste Zeitung, die keine Zeile mehr zum Jahrtausendwechsel schreibt? Reinhard Wolff

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