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Vertraute Geschmacklosigkeit

Und weiter in dem Theater. Christoph hat verstanden, und das Volk darf sich den Sinn selbst wählen. Schlingensiefs „Berliner Republik“ in der Berliner Volksbühne  ■ Von Eva Behrendt

Das hat man sich doch immer gewünscht! Sofort und umstandslos soll das Theater reagieren, und zwar auf die politische und moralische Lage der Nation! Leibhaftig, unmittelbar und katarthisch soll es verhandeln, was die Medien hundertmal hintenrum aufkochen, bis der Bürger hypnotisiert und blöde vor dem Fernseher hockt wie das sogenannte Kaninchen vor der Schlange!

Christoph Schlingensief hat verstanden. Nach dem vorauseilenden Ausflug in die Sackgasse realer Politik wird der Spieß herumgedreht – mit den Worten des Regisseurs: „Der Ring wird nicht mehr im Rhein versenkt, sondern in den Sand gesetzt.“ Das Theater reagiert. Nach nicht einmal sechs Monaten Amtszeit ist Kanzler Gerhard Schröder Gegenstand von Kunst und Ritual. Das Herz der „Berliner Republik“ ist eine Vision des Kanzler-Bungalows, ein sachlicher Traum aus Glas, Metall und schlohweißen Gardinen (Bühne: Anna Viebrock). Wer so transparent wohnt, kennt keinen Schmerz. Genau das ist Gerhard Schröders Problem: „Doris, ich will wieder Angst haben“, winselt er und möchte „ein schwarzes Kind“ von ihr.

Daraus wird nichts, also richtet sich seine Obsession rasch auf ein anderes Projekt: Er will Wagners „Ring“ in Namibia, der ehemals deutschen Kolonie Südwestafrika, inszenieren lassen. Und auch die blondierte First Lady packt die Sehnsucht nach zügelloser Ursprünglichkeit, als sich ein afrikanischer Wilder in Trance vom Balkon des Bungalows gestürzt hat: „Hast du gesehen, was für eine Erektion er hatte?“ Noch bevor die Reise losgeht, verwandelt sich Gerhard unter Grunzen, Toben und Götterdämmerungseinspielung in einen ziegenfellbehangenen Siegfried.

Die Transformation vom jovialen Medienhengst zum germano- afrikanischen Bockssänger vollzieht Bernhard Schütz höchst glaubhaft auf kürzestem Weg, und nicht minder plausibel hysterisiert Irm Herrmann Gattin Doris zur inkarnierten Leni Riefenstahl: etepetete, aber pervers. Knapp vorm Kabarett agieren Statisterie und pathologische Nebenrollen. Bodo Hombach (Michael Klobe) watschelt als speichelleckender Kanzlernarr, ein weinerlicher Martin Walser (Winfried Wagner) tritt mit Pornovideos und Koks im Einkaufsbeutel auf, während Michael Naumann (Joachim Tomaschewsky) als schneidiger Wüstenfuchs- General einen offensichtlich ungeplant intervenierenden Stockbesoffenen an die Front abkommandiert.

Behinderte und Schwarzafrikaner dekorieren das Bungalow-Interieur als exotische Farbtupfer: Vor diversen Film- und Dia-Einspielungen sieht das nach wüster Agitprop-Klamotte aus. Dabei ist die „Berliner Republik“ im Vergleich zu Schlingensiefs früheren Bühnenereignissen eine gradezu stringente, dramaturgisch bearbeitete Angelegenheit – es gibt so etwas wie eine Handlung und definierte Figuren, die bislang zentrale Moderation des Regisseurs fällt aus. Weil Christoph Schlingensief statt dessen in Safari-Dress und eifriger Selbstbezüglichkeit mit dem Regiebuch über die Bühne eilt und Anweisungen ruft – „weiter nach rechts, Rosie!“ –, klappt tatsächlich alles wie am Schnürchen.

Leerlauf entsteht erst kurz vor Schluß. Das „Tourneetheater Bundesregierung“ bzw. die überhöhte Boulevardkomödie spielt ganz ernsthaft mit mythischen Projektionen, dem Fortwirken nationaler Traumata und Schuldkomplexe, die noch die überübernächsten Generationen prägen. Die zivilisationsbedingte europäische Haßliebe zu Afrika gründet sich auf und mündet in Sexualneid, Gewaltphantasmen sowie die Projektion, auf dem schwarzen Kontinent einen erlösenden Sumpf aus Hitze und Erde, Blut und Sperma zu finden.

Doch der deutsche Tiefsinns- Marsch zurück zu Wurzeln, Göttern, Tod und Reinigung oder allem auf einmal impliziert koloniale Unterwerfung, prä- und postfaschistisches Trara oder gleich Völkermord. Irgendwie. Siehe Richard Wagner, den Präzedenz- Neurotiker: hier Damengarderoben-Spleen, dort Gesamtkunstwerk im Bayreuther Thing. Und trotzdem, leider und glücklicherweise, bedeutet kein Zeichen auf der Bühne Eindeutiges. Die geforderte „Abarbeitung von Zivilisationsschäden“ oder die Aufforderung zum „emotionalen Denken“ ist so sympathisch wie banal, die Spiegelung der Schlingensief-Obsessionen in Gerhard Schröder mehr ulkig als politkritisch, und die Afrikaner und Namibia-Videos wirken genauso dämlich wie die weißhäutige deutsche Politikerkaste.

Vertraute Geschmacklosigkeiten: Ein Schwerstbehinderter im Rollstuhl wird auf die Bühne gefahren und als Helmut Schmidt vorgestellt – „er wird nur noch zwei Tage leben“, womit sich die diffamierende Zurschaustellung gleichmäßig auf den Altbundeskanzler, den Behinderten und Bad-taste- Schlingensief verteilt. An der Wand erscheinen Dias von verkrüppelten nackten Frauen und zerfleischten Afrikanern. Anklage? Provokation? Bekenntnis? Wähl's dir selbst. Durchaus treffend erscheint „Die Berliner Republik“ als zwar gut bestückter, doch miserabel sortierter Gemischtwarenladen.

Falls man überhaupt etwas braucht, muß man sich's schon selbst zusammensuchen, wird jedoch – im Gegensatz zu Martin Walser – wahrscheinlich mit leerem Beutel nach Hause gehen. Das Prämierenpublikum in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz spendete gedankenverlorenen Applaus.

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