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Lafontaine, der Totalaussteiger –betr.: „Der ehrliche Makler aus Hessen“, taz vom 13./14. 3. 99

Eben hab ich die Nachrichten gesehn. Da steht Lafontaine auf dem Balkon, hat seinen kleinen Rotzlöffel auf den Schultern und sagt: „Kuck mal, Maurice, die armen Menschen da unten. Stehen da mit ihren Kameras rum und warten, daß was passiert. So Leute, jetzt habt ihr eure Fotos, jetzt könnt ihr wieder nach Hause fahrn. Gibt keine Interviews.“ Das war Humor, und noch mehr: es war ein „lichter Moment“!

Denn ein paar Stunden zuvor hab ich die taz gelesen. Da hat mir ein Herr Klingelschmitt aus Frankfurt den neuen Heldentypus der deutschen Politik vorgestellt: den „braven Hans“ aus Kassel, der seine Akten sogar auf seine Hochzeitsreise mitgenommen hat. Moral: solche Männer braucht das Land. Ehrliche Beamte, deren höchstes Glück darin besteht Akten zu fressen.

Himmel, Arsch und Zwirn, wofür haben eigentlich Eure Vorfahren die taz gegründet? Als Wiederverwertungsprojekt für Prototypen der letzten Jahrhundertwende, weil die nächste unmittelbar bevorsteht? Weil die Weinsäufer unter den Achtundsechzigern bereits rührselig und tatterig geworden sind? Oder weil in der Politik eben sein muß, was sein muß, was sein muß, was sein muß? [...] Carsten Weber, Osnabrück

betr.: „Wir sind bereit“, taz vom 13./14. 3. 99

„Die Stille von Lafontaine ist nützlich, um die große Heuchelei von Schröder und anderen SPDlern, der Wirtschaft, der Börse und der Medien (Wahnsinn!) ans Licht kommen zu lassen. [...] Schröder ist nun ein Held geworden, weil er von der Basis seiner Partei (die SPD) gehaßt wird und trotzdem versucht, sich für unsere „gute“ Wirtschaft weiter durchzusetzen. Lafontaine ist hingegen feige, gegen seine Partei und gegen Deutschland, weil er seinen wichtigen Aufgaben einfach weggelaufen ist (insgeheim: Alle freuen sich, daß er die Macht verlassen hat! Siehe Börse und Euro!). Und diese gravierende Urteile nur nach wenigen Stunden seit seinem Rücktritt, wahrscheinlich mit dem Ziel, die Meinungen schnell und „richtig“ zu kanalisieren, und bestimmte „komische“ (aber hoch interessante) Bewegungen legitimieren kann. [...] Davide Brocchi, Düsseldorf

betr.: „Wir sind bereit.“ u.a., taz vom 14. 3. 99

Glückwunsch zur Samstagsausgabe in Sachen Lafontaine-Ausstieg. Und zwei Anmerkungen zu den vielfältigen Reaktionen. Wenn es eines Beweises für die Schärfe des Machtkampfs in und um Bonn bedurft hätte, dann hat ihn „die Wirtschaft“ geliefert. Die Champagnerkorken knallten, und die Kurse explodierten. So unverhohlen ist die schenkelschlagende Begeisterung beim Halali für einen verhaßten Politiker in diesem Land, so weit ich mich entsinne, noch nie gewesen. Nur im fernen Chile habe ich einmal ähnliches erlebt: als die freigewählte Regierung Allende durch einen Militärputsch gestürzt wurde, kannte der Jubel „der Wirtschaft“ ebenfalls keine Grenzen. Die Deutsche Bank Santiago, bedankte sich damals eilfertig beim Anführer der Putschisten, Pinochet, mit einem Glückwunschtelegramm.

Soviel zum „dernier cri“ des bundesdeutschen Kapitalismus. Denn es war Lafontaine, der für Ökosteuer, Subventionsstreichung und Respektlosigkeit gegenüber der Bundesbank stand. Der Ausgang weckt Sehnsucht nach antiautoritärer Revolte. Immerhin, Lafontaine selbst hat sie schon ein bißchen praktiziert. Denn während sich auf dem Parkett der Börse vom Jubel bis zu Häme, Hohn und Spott deliriert wurde, hat er den dritten Part des Machtkampfs, die Medien, souverän auflaufen lassen. Lafontaine, der Individualist, hat ihr Spiel nicht mitgemacht und so ihren Haß auf sich gezogen. Ihre Niederlage haben sie nur schwer verkraften können. Konsequent wurde tagelang um sein Privathaus der Belagerungszustand ausgerufen und eingehalten. Doch Lafontaine, der Totalaussteiger, behielt seinen aufrechten Gang. Johannes Winter, Frankfurt a. M.

betr.: „Toskana, ich komme“, u.a., taz vom 12. 3. 99

Die Überschriftern in der taz sind oft sehr treffend, die Überschrift „Toskana, ich komme“ führt insoweit in die Irre, als daß Oskar Lafontaine der einzige Minister in der Regierung gewesen sein dürfte, der sich konsequent und machtbewußt – Machtbewußtsein scheint das große Problem aller linken Parteien und Regierungen zu sein – für das Rückgängigmachen von 16 Jahren Umverteilung zugunsten der Oberschicht während der Regierung von Helmut Kohl eingesetzt hat.

Herr Lafontaine hat auch trotz der dreisten Versuche der deutschen Strom- und Versicherungswirtschaft, der Bundesregierung für den Fall der Durchsetzung der Steuerreform mit Abwanderungsplänen und einem damit verbunden Abbau von Arbeitsplätzen zu drohen, relativ unbeirrt daran festgehalten, daß sich die Steuerreform auch positiv für den Durchschnittsverdiener auswirken muß. Dies mit dem offensichtlich heute unpopulären Ansatz, daß Politik auch einen sozialen und moralischen Aspekt beinhalten sollte.

Mittlerweile kann offensichtlich jeder, der aufgrund der Steuerreformpläne auch nur einen Pfennig mehr Steuern zugunsten einer sinnvollen Idee zahlen müßte – Steuern zu zahlen und nicht nur immer vom Staat und anderen zu fordern, scheint ohnehin kein Wert mehr zu sein – bei Herrn Schröder anklopfen und um eine Ausnahmeregelung bitten (vergleiche Schiffs- und Flugzeugfonds, aber eben auch die Besteuerung der Rücklagen der Versicherungs- und Stromwirtschaft).

Und wenn die Mineralölsteuer angehoben werden soll, was den Autofahrer dazu veranlassen sollte – Stichwort ökologische Steuerreform – über die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nachzudenken, erhöht die Deutsche Bahn AG die Fahrpreise. Klasse das, in dreieinhalb Jahren kann die CDU wahrscheinlich jeden als Kandidaten aufstellen, gegen SPD und Grüne wird sie in jedem Fall gewinnen. Bernhard Loh, Rechtsanwalt, Berlin

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