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Verdächtige Polizei ermittelt über Mord

In Nordirland beschimpfte die RUC Rosemary Nelson als „IRA-Hure“. Jetzt darf dieselbe Einheit den Mord an der Anwältin „aufklären“. 1.200 AnwältInnen aus aller Welt verlangen eine unabhängige Ermittlung   ■  Aus Portadown Ralf Sotscheck

Seine Feinde nennen ihn McKenna, und Feinde hat er viele: Breandaán MacCionnaith – er benutzt die irische Version seines Namens – ist der Sprecher des Bürgerkomitees der Garvaghy Road am Rande von Portadown. Seit Jahren steht die katholisch bewohnte Straße im Brennpunkt des nordirischen Konflikts, weil der protestantische Oranier-Orden dort unbedingt seine jährliche Parade abhalten will. Weil ihm das im vorigen Juli verboten worden war, hat der Orden seither am Ende der abgesperrten Straße 180 Demonstrationen organisiert.

Die Protestanten machen MacCionnaith und die Anwältin des Bürgerkomitees, Rosemary Nelson, für das Verbot der Parade verantwortlich. Nelson wurde vorige Woche durch eine Autobombe ermordet. MacCionnaith, der 1983 wegen Waffenbesitzes zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, weiß, daß er der nächste sein könnte. In die Innenstadt geht er schon lange nicht mehr, aber auch auf der Garvaghy Road ist er nicht sicher. Zwei Mal haben sie versucht, ihn umzubringen. „Ein Auto hielt neben mir, drei maskierte und bewaffnete Männer sprangen heraus, doch ein paar Anwohner stellten sich ihnen in den Weg. Das war im Januar 1998. Vor einem Jahr stürmten zwei bewaffnete Loyalisten ins Gemeindezentrum, aber ich war nicht da. Die beiden waren nicht maskiert, wir haben der Polizei ihre Namen genannt, aber es geschah gar nichts.“

MacCionnaith ist überzeugt, daß die Polizei, die Royal Ulster Constabulary (RUC), ihre Hände beim Mord an der Anwältin im Spiel hatte. Parallelen zum Mord an ihrem vor zehn Jahren getöteten Anwaltskollegen Pat Finucane seien unübersehbar. Erst am Freitag reichten 1.200 Anwälte aus der ganzen Welt eine Petition ein, um endlich eine unabhängige Untersuchung des Falles einzuleiten.

Die Polizisten machten keinen Unterschied zwischen den Anwälten und ihren Mandanten, hatte Rosemary Nelson im September vor dem US-Kongreß ausgesagt. RUC-Beamte hätten sie regelmäßig als „IRA-Hure“ bezeichnet und ihr mit Mord gedroht. Die Untersuchung ihrer Beschwerden wurde der RUC am Freitag abgenommen, nun soll sich die Londoner Metropolitan Police damit beschäftigen.

Fünfzehn andere Anwälte haben im vorigen Jahr ebenfalls Beschwerde gegen die RUC eingereicht. In einem UN-Bericht wird die Polizei der „Einschüchterung, Schikane und Behinderung bei der Amtsausübung“ beschuldigt. Und nun soll ausgerechnet die RUC den Mord an Rosemary Nelson untersuchen, wenn auch unter Mithilfe der Polizei der englischen Grafschaft Kent und des FBI.

„Wir haben die englische Regierung mehrmals um Personenschutz für Rosemary gebeten“, sagt MacCionnaith, „er wurde stets abgelehnt.“ Der 41jährige lächelt ein wenig ironisch. Die Leute von der Garvaghy Road seien nun noch entschiedener dagegen, daß die IRA ihre Waffen abgibt. „Wer soll uns dann schützen“, fragt er, „Polizei oder Armee vielleicht?“ Zunächst müsse die Polizei reformiert werden. Ein „neuer Name und neue Uniformen“ reichten nicht aus.

MacCionnaith rechnet nicht damit, daß die Frist für die Einsetzung der nordirischen Regionalregierung, die am Karfreitag – ein Jahr nach Unterzeichnung des britisch-irischen Nordirlandabkommens – abläuft, eingehalten werden kann. Der Unionistenchef David Trimble, der Premierminister der Regionalregierung werden soll, müsse aufgrund der Hardliner im eigenen Lager auf Ausmusterung der Waffen bestehen. „Aber es ist nicht Trimbles Friedensprozeß“, sagt MacCionnaith, „neunzig Prozent der Bevölkerung haben für das Abkommen gestimmt. Spätestens zum Jahrestag der Volksentscheide im Mai muß die britische Regierung handeln und eine Exekutive in Nordirland einsetzen – mit Trimble oder ohne ihn.“ Glaubt MacCionnaith, daß die Gewalt wieder ausbreche? „Das ist eine große Gefahr.“

Man fragt sich, wie die beiden Bevölkerungsgruppen jemals friedlich zusammenleben sollen, wenn man die Ereignisse der vergangenen Woche betrachtet. Am Tag von Rosemary Nelsons Beerdigung, erzählt MacCionnaith, feierte der Oranier-Orden den Mord ganz in der Nähe der Garvaghy Road. „Der dumpfe Klang der Lambeg-Trommeln war den ganzen Abend zu hören“, sagt er, „kein Wunder, daß die Jugendlichen auf der Garvaghy Road ausgerastet sind.“

Mehrere Autos und Busse wurden in Brand gesetzt, die anrükkende Polizei wurde mit Steinen und Benzinbomben beworfen. Rußflecken und das Gerippe eines Busses künden von der Schlacht, die zwei Nächte dauerte. MacCionnaith, der die Gemüter beruhigen wollte, wurde von einem Polizisten mit einem Schlagstock verprügelt, sein verletztes Auge mußte im Krankenhaus behandelt werden. „Der Beamte behauptet, es war ein Versehen“, sagt MacCionnaith. Sein Lächeln wird dabei noch eine Spur ironischer.

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