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Freude auf allen Seiten in Chile

■ Anhänger und Gegner Pinochets begrüßen die Entscheidung der Lords. Angehörige wollen Spanien Beweismaterial übergeben

Santiago (taz) – Ganz klar war vielen Chilenen zunächst nicht, was die Entscheidung in England bedeutete. Als die Lords in London den Saal verließen, verschlug es in Pinochets Heimatland sämtlichen Fernsehkommentatoren die Sprache. Ruhe auf allen Kanälen, die live in Lodon bei der Entscheidung dabei waren. Eilig wurden Rechtsanwälte konsultiert, um zu klären, was die Entscheidung zu bedeuten hat.

Mehrere Minuten später, als durchgesickert war, daß der britische Innenminister Jack Straw das letzte Wort bei der Auslieferung des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet haben würde, wurde im noblen Vitacua-Viertel von Santiago noch gefeiert. Hier residiert in einer Villa die „Stiftung Augusto Pinochet“, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, das „Werk Pinochets zu schützen“. Während die Köpfe der Stiftung sich in den zweiten Stock zurückgezogen hatten, um an einer geeigneten Antwort zu basteln, wurde draußen auf der Straße ausgelassen getanzt. „Die Entscheidung aus London ist außerordentlich glücklich, morgen werden wir alle zum Flughafen fahren, um unseren General abzuholen“, triumphierte eine von Kopf bis Fuß mit Pinochet-Stickern beklebte Frau.

Doch dazu wird es nicht kommen. Pinochet bleibt in London, so entschieden die Lords, bis Straw über seine Auslieferung nach Spanien entscheidet. Am anderen Ende der Stadt, im schmucklosen Haus der Angehörigen der Verschwundenen der Militärdiktatur, gab es deshalb mehr Grund zum Feiern. „Zuerst freuen wir uns darüber, daß Pinochet erst einmal nicht zurückkommt“, sagte Viviana Diaz, Vize-Präsidentin der Organisation, „wir sind auch nervös, vertrauen aber darauf, daß er nach Spanien ausgeliefert wird.“ Trotzdem sind die Angehörigen, die seit 25 Jahren versuchen herauszufinden, wohin ihre Kinder oder Eltern verschleppt wurden und wer sie ermordet hat, nicht ganz zufrieden mit der Entscheidung in London. „Der Lordspruch läßt sämtliche Verbrechen außer acht, die von 1973 bis 1988 von Pinochet begangen wurden“, kritisierte Mirey Garcia, Generalsekretärin der Organisation, „damit haben wir nicht gerechnet. Jetzt geht es aber darum zu retten, was noch zu retten ist.“ Die Angehörigen-Organisation hat Beweise, daß mindestens zwei Menschen nach 1988 in Chile von den Sicherheitskräften ermordet wurden und will dem spanischen Richter Baltasar Garzón ihr Material zur Verfügung stellen. Allerdings ist noch nicht klar, ob diese Morde Pinochet juristisch angelastet werden können.

Daher zeigte sich die pinochettreue Partei „Nationale Erneuerung“ (RN) auch zufrieden mit der Entscheidung. „Der Lordspruch ist ein wichtiger Fortschritt, denn unsere nationale Souveränität wurde zu Teilen anerkannt“, freute sich Alberto Espiña von der RN. Seiner Ansicht nach stehen die Chancen gut, daß Pinochet bald nach Chile zurückkehrt, da „die Fälle, um die es nach 1988 geht, relativ unwichtig sind“.

Die Regierung von Präsident Eduardo Frei hatte schon vor dem Lordspruch angekündigt, mit einer Antwort lange auf sich warten zu lassen, und zog sich zunächst zu Beratungen zurück. Auch das Militär wollte bis Redaktionsschluß noch keine offizielle Stellungnahme abgeben. Ingo Malcher

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