: Luftballons gegen „Angriffskrieg“
■ Gysi und Ströbele müssen provozieren, um den Bundestag zu einer spontanen Debatte über den Nato-Schlag gegen Serbien zu bewegen
Alle hatten mit der Bombardierung Belgrads gerechnet. Dennoch überrumpelte der Nato-Schlag den Bundestag gestern. Wie schwer es ist, den laufenden Betrieb in Bonn zu unterbrechen, bekam der PDS- Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi zu spüren. Für seinen Antrag, die Tagesordnung zu ändern, bekam er keinerlei Unterstützung – also zog er ihn zurück. Seiner Empörung verlieh Gysi im Plenum aber dennoch Ausdruck.
Die Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum Krieg im Kosovo war zunächst für den heutigen Freitag geplant. Und für gestern morgen war nur eine Erklärung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) vorgesehen. Das sollte „dokumentieren, daß der Bundestag an dem Nato-Einsatz nicht kommentarlos vorbeigeht“, stellte der außenpolitische Sprecher der CDU, Karl Lamers, betreten fest.
Erst die massive Kritik von Grünen und PDS provozierte Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu einer Antwort – erst so entstand eine spontane Debatte außerhalb der offiziellen Tagesordnung. Ströbele und Gysi forderten, die Angriffe sofort abzubrechen. Gysi wies darauf hin, daß die UN- Charta den Nato-Einsatz nicht decke. Daher handele es sich um einen „Angriffskrieg“, den das Grundgesetz verbiete. Die PDS beließ es nicht bei Worten: Sie reichte noch gestern eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Schlag gegen Rest-Jugoslawien ein.
Ebenso wie anschließend CDU/ CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble appellierte der Verteidigungsminister an den jugoslawischen Präsidenten Milošević, „sofort die Waffen schweigen zu lassen“. Schäuble sagte Scharping „unsere volle Unterstützung zu“. In der SPD wurden nur vereinzelt kritische Stimmen laut. Hermann Scheer hielt die Bombardements für „verheerend“. Das sei „die Zuspitzung eines jahrelangen Selbstbetruges“. Scheer sagte: „Ich fühle Zorn, und was für einen.“
PDS-Fraktionssprecher Jürgen Reents fand es bedauerlich, daß sich die anderen Fraktionen erst durch den PDS-Anstoß flexibel zeigten. „Schließlich hat in der vergangenen Nacht eine neue Ära der Bundesrepublik begonnen.“ Die Stimmung in den Bundestagsfraktionen bezeichneten die Sprecher als „sehr ernst, aber geschlossen“. Während jedoch die Union keinen Zweifel an der Notwendigkeit des Nato-Einsatzes ließ, um die „humanitäre Katastrophe zu mindern“, wie Lamers sagte, lehnte die PDS geschlossen die Angriffe ab.
Ein so einheitliches Bild präsentierte die FDP nicht. In der Fraktion gab es zwei Gegenstimmen gegen den Kosovo-Einsatz, Rainer Funke und Jürgen Koppelin. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger enthielt sich, weil es kein politisches Konzept für die Zeit nach den Bombardements gebe. Im Gegensatz dazu sagte der Liberale Hildebrecht Braun, Mitglied im Verteidigungsausschuß: „Deutsche Tornado-Piloten haben schon in der ersten Angriffswelle ihren herausragenden Beitrag geleistet.“
Die PDS will ihre Empörung über die Luftangriffe nach außen tragen. Morgen sollen bei einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz weiße Luftballons aufsteigen. Die PDS-Zentrale wird mit weißen Bettlaken an Friedensfahnen erinnern. „Europa schaffen ohne Waffen“ soll in den Fenstern stehen. juw/maf
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