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Kutips zum Wochenend

Wahre Kunst ist dazu auserkoren, unsere Denk- und Wahrnehmungsmuster durcheinanderzuwirbeln. Wir von der Redaktion glauben das zwar längst nicht mehr, aber Künstler aus aller Welt werden noch immer nicht müde, uns dies täglich ins Ohr zu säuseln. Ihnen bietet derzeit der „Comet“ im Viertel ein wahres Kunsterlebnis. Der hat nämlich renoviert und alles recht sinnverwirrend umgeräumt. Einkaufsroutiniers, die ihren privaten Wa(h)renkorb unbewußt und automatisch abgreifen, können persönlichkeitsfortbildende Überraschungen erleben. Wer etwa wie gewohnt das Produkt gleich rechts neben der rechtesten Kasse heimträgt, wird bald erstaunt ausrufen: „Mist, ich werde ja gar nicht klüger, sondern nur dicker“, um dann festzustellen, daß er nicht die neuste SPEX-Ausgabe in Händen hält, sondern ein klebriges Vanilleeis im Magen. Der Erkenntniszugewinn: Eis schmeckt besser als SPEX. Solche Erfahrungen sind Kunst. Politik dagegen ist etwas anderes. Zum Beispiel, wenn direkt vor dem neuen, alten Comet (jetzt etxtradoof „EXTRA“ benamt) zwei neue knallrote Aschenbecher stehen, die noch im äußersten Alkoholnebel eine hohe Zigarettenkippentrefferquote garantieren. Was sagt uns diese Installation? Sie flüstert liebevoll: „Liebe Junkies, Alkis und andere Verlorene des Universums: Wir wissen, daß dieser Ort für euch ein heiliger Ort ist, so wie der Hoxltschechuapotlnatoguchi-Berg für die Kawasaki-Indianer. Wir achten dies und möchten als Aschenbecherpaar ein bißchen zu eurer Bequemlichkeit beitragen. Seid also herzlich willkommen.“ Daraus schließen wir: Erstens, der Chef dieses Comet hätte das Bundesverdienstkreuz viel eher verdient als ein Willy Brandt, und zweitens, er wäre die bessere Tine Wischer, der einzig mögliche Verantwortliche für die Drogenpolitik dieser Stadt. Respekt. Daß der neue Comet mit seinen weißen Schlachthausbodenfliesen die unterkühlte, industriemäßige Aura des Museums Weserburg ausstrahlt, läßt sogar auf Kultiviertheit schließen.

Unkultiviert finden wir lediglich die Idee, in wöchentlichem Wechsel sogenannte „Gourmetpläne“ für Singles und die klassische, vierköpfige Kleinfamilie auszuhängen. Als ob es wünschenswert wäre, daß noch mehr Leute noch länger über die Lachsfrage, das Basilikumproblem und die Rohschinkenhypothese nachdenken. Freßt lieber Kartoffelchips. Heute um 12 Uhr wird (kein Witz!) der erste „Gourmetplan“, der einer Skulptur des bedeutsamen Bremer Künstlers Armin Kölbli anhaftet (wirklich kein Scheiß!), ja, wie soll man sagen, eröffnet.

Wer die wahre Kunst dann immer noch nicht gefunden hat, dem empfehlen wir garantiert nicht das dezidierte Haßobjekt der taz-Kulturredaktion, Sissi „Wann-zeigt-die-Kuh-endlich-ihre-superstolzen-lachhaften-Titten-nack t?“ Perlinger (Sa, Pier 2, 20 h). Dann eher schon den Familiensonntag (ab 15 h) im Bürgerhaus Weserterrassen mit Kuchen, Saft, Spielmöglichkeit und Puppentheaterstück für Kinder ab 5 (und mal ehrlich, ist nicht jeder von uns ein Kind ab 5). Wer bis 20 Uhr ausharrt kann sich am selben Ort vom Ornette Coleman-inspirierten Lars Kuklinsk-Quartett fachgerecht verwirren lassen. Vielleicht bietet auch das Metal-Konzert im Meisenfrei (“Rough silk“, So, 20.30 h) Chaotisierungsmöglichkeit. Der gewünschte großkunstige Zustand entropischer Strukturauflösung wird aber ganz sicher durch das Kindertheaterstück „Heut back ich, morgen brau ich“ (Schnürschuhtheater, So, 15 h) generiert werden. Hört sich wenigstens nicht nach „Gourmetplan“ an. taz

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