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Wahnsinniger Kurschatten

Dimiter Gontscheff inszeniert „Lear“ im Schauspielhaus  ■ Von Kees Wartburg

Jan Lauwers Needcompany begann vor vielen Jahren damit, Shakespeare als Leseprobe zu geben; zu spielen wäre hier das falsche Wort. Großartige Schauspieler saßen an einem langen Tisch oder auf einer Reihe von Stühlen und sprachen, oft wie beiläufig, vom Untergang des Menschen in der Verblendung. Manchmal stand einer auf, unterstrich seine Rede mit knappen Gesten, oder es tauchte plötzlich ein Kostüm auf. Eine geniale Erfindung, die dem Zuschauer die Ausmalung der Szene anvertraute, in seiner Präzision aber nie langweilte. Das war freies Theater in Vollendung.

Dimiter Gotscheff hat vielleicht noch nie etwas von der Needcompany gehört, aber für seinen Shakespeare verwendet er eben dieses Modell. Lear beginnt an einem bühnenbreiten Tisch, der selbstgefällige König (Josef Bierbichler) versammelt seinen Hofstaat um sich, die verhängnisvolle Teilung seines Reiches unter seinen Töchtern vorzunehmen, und der Staat steht und spricht. Das funktioniert auch einige Minuten. Die Entrückung der Aufwühlung in eine vom Pathos skelettierte Prosa, wo man die Knochen der Tragödie aus dem eigenen Assoziationsschatz bestücken muß, verspricht Konzentration, Strenge, Gastfreundschaft für den sitzenden Geist.

Aber dann wird der Kompromiß, der Hausspuk des Staatstheaters, plötzlich eifersüchtig und nistet und brütet und gebärt. Als ginge es um den Beweis, die beiden großen Theaterlehren von Stanislawski und Brecht, knapp verkürzt auf Einfühlung und Distanzierung, ließen sich zusammengießen, eiert Gotscheff aus der eingeschlagenen Bahn und löscht das geweckte Interesse. Mal zurückhaltend bis zum Ironieverdacht, mal inbrünstig wie aus dem benachbarten Thalia-Theater gewohnt, changiert das Ensemble zwischen den konträren Darstellungsformen und erzeugt im Resultat braves Stadttheater.

Weder Anstrengung noch Ergriffenheit setzen sich durch, weil der Regiezug dem Zuschauer immer nur wenige Minuten in jede Fahrtrichtung gönnt. Da sieht man aus dem Fenster des Zuschauerraums lediglich ein kleines Sammelsurium an ionisierenden Schauspielerleistungen: Wolfgang Maria Bauer, der den intriganten Edmund mit der Raffinesse eines subtilen Kabarettisten spielt, oder Bettina Engelhardt, die als Regan Liebe so lange im Körper zu verstecken versucht, bis dieser selbst die Kontrolle übernimmt. Doch trotz der Reduktion des Raumes, Penelope Wherli hat auf der Bühne ein kaltes Alkoven-Halbrund mit Teppichboden und drehbarer Spiegelwand – im Programmheft mit einem Lacan-Text ins psychologisch Bedeutungsschwangere gedippt – installiert, entwirft der Geist keine Landschaft auf dem abstrakten Prospekt.

Josef Bierbichler, der wie alle großen Schauspieler die Altersneigung zum Selbstzitat entwickelt, wenn der Regisseur in der Schaffung eines starken Kontrapunktes versagt, agiert seltsam uninspiriert und vernuschelt. Die fehlende Festlegung der Interpretation zwischen formschön oder willensstark zeigt so einen Lear, der seinen Wahnsinn mehr wie einen Kurschatten kennenlernt. Angenehm, Bierbichler.

Der Versuch der Radikalität, der in Gotscheffs Konzept offensichtlich angelegt ist, entspannt sich über drei Stunden in theatralische Gültigkeiten. Überall hängt ein Irgendwie oder Ach ja. Man vergißt nie, wo man ist, so offensichtlich wird hier Bühne demonstriert. Theateralltag. Schade.

Weitere Vorstellungen:

Mo, 29. März, Mi, 31. März, Sa, 3. April, Mi, 14. April, Mi, 21. April, Fr, 23. April, jeweils um 19.30 Uhr, Deutsches Schauspielhaus

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