piwik no script img

Anthony, der anschmiegsame Attentäter     ■ Von Ralf Sotscheck

Gänse ißt man zu Weihnachten. Oder im Notfall. Bei Anthony handelte es sich eindeutig um einen Notfall. Doch der Reihe nach.

Voriges Jahr ergatterten Jeannette und Martin ein Haus auf einem Wassergrundstück an der Liffey in einem Vorort Dublins, wo der Fluß noch sauber ist. Das Haus mit riesigem Garten war trotz der immens gestiegenen Hauspreise in Irlands Boomtown erstaunlich billig, weil Jeannette zwei Abteilungen eines multinationalen Konzerns, dem die Immobilie gehörte, clever gegeneinander ausgespielt hatte.

Martin, ein pensionierter Mathematikprofessor, begann sogleich mit der Kleintierzucht, schließlich will man als frischgebackenes Landei auch frische Eier zum Frühstück. Doch weil er von Zahlen mehr versteht als von Viehzeug, waren seine Sicherheitsvorkehrungen unzureichend: Ein Fuchs dezimierte Nacht für Nacht die Hühnerherde und kam sich vermutlich vor wie in der Lebensmittelabteilung von Harrods. Jedenfalls war bald nur noch ein zerzaustes Federvieh übrig, und Martin beschloß, eine etwas robustere Tierart anzuschaffen: Gänse.

Anthony und Louise, so hieß das Gänsepaar, machten sich prächtig, stolzierten durch den Garten, schwammen manchmal in der Liffey und waren ziemlich zutraulich. Dann kam der Tag, an dem Louise acht Eier legte, und fortan war der Ganter wie verwandelt. Aus dem anschmiegsamen Anthony wurde ein richtiges Arschloch. Er stürzte sich auf alles, was sich bewegte. Wenn Martin in den Garten wollte, schickte er zuerst den Hund Ben vor, um die rabiate Gans abzulenken. Der arme Hund entwickelte eine schwere Neurose: Jedesmal wenn die Gartentür geöffnet wurde, verkroch er sich unter das Sofa.

Einmal paßte Martin nicht auf, Anthony schnitt ihm zu Bens deutlichem Vergnügen den Rückweg ins Haus ab. Martin schlug ein paar Haken und konnte gerade noch, mit ein paar Bißwunden in den Waden, die Verandatür hinter sich zuziehen, während Grobian Gans den Putz aus dem Türrahmen hackte. Der Handwerker, der den Schaden tags darauf reparieren sollte, machte sich gleich wieder aus dem Staub: Das Terrortier lauerte auf der Kühlerhaube und ließ ihn gar nicht erst aus seinem Wagen aussteigen.

Dann ging Anthony zu weit. Schon von weitem hatte er das Postauto gehört und war ihm wutentbrannt entgegengestürmt. Ausgerechnet in der Einfahrt fiel er über den Wagen her, aber so ungeschickt, daß er mit dem Hals zwischen Auto und Betonpfeiler geriet: Genickbruch. Der Briefträger schaute recht verdutzt, als Martin sich bei ihm herzlich bedankte. Auch Jeannettes Trauerphase währte nur kurz – etwa zehn Minuten. Martin hatte zunächst befürchtet, daß sie den Gänserich pietätvoll begraben wollte, doch statt dessen sinnierte sie: „Der Körper ist völlig intakt, ob dazu wohl eine Portweinsauce passen würde?“ Der Briefträger wurde auch zum Essen eingeladen.

Aber selbst im Tod war Anthony noch gehässig: Er war zäh wie ein Suppenhuhn. Die Gantervorbesitzerin hatte über sein Alter gelogen. Die letzte Rache aber hatte Jeannette: Zum Nachtisch gab es einen Rührkuchen, gebacken mit zwei Gänseeiern, Anthonys potentiellen Nachkommen, die sie der wehrlosen Louise unterm Hintern weggeklaut hatte.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen