Keegan will seinen Torschützen „Sir Paul“ nennen

■ Nach Paul Scholes' Hattrick zum 3:1 über Polen können Englands Fußballanhänger für einen Moment glauben, die Welt sei so rosig, wie ihr optimistischer Interimstrainer sie gerne ausmalt

London (taz) – Kevin Keegan gab seinen Einstand als englischer Nationaltrainer und seine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr – nach dem Spiel stockte rund um das Londoner Wembley Stadion der Verkehr. Ob er etwas befürchte, war er einen Tag vor dem EM-Qualifikationsmatch gegen Polen gefragt worden, er hatte geantwortet: „Staus nach dem Abpfiff.“

Wie ein Politiker hatte Keegan (48), einst als Spieler des Hamburger SV Europas Fußballer des Jahres, seinen zwanghaften Optimismus zur Schau getragen. Und am Samstag abend durfte England für einen Moment glauben, die Welt sei wirklich so rosig, wie er sie ihnen versprochen hat.

Die Sonne schien, die Polen spielten ohne Courage, England gewann 3:1. Alles ist wieder möglich in der Gruppe 5, in der die favorisierten Engländer nach einem 1:2 in Schweden und einem 0:0 gegen Bulgarien unerwartet in Schwierigkeiten geraten waren.

Im Detail betrachtet, war Keegans Einstand allerdings nicht wirklich eine Erneuerung. Englands Paßspiel holperte. Taktisch, etwa in puncto Stellungsspiel und Tempodosierung, hat die Elf unter Keegans Vorgänger, dem im Februar entlassenen Glenn Hoddle, etliche bessere Spiele geliefert – auch wenn das nun keiner mehr hören will. „Wunderbaren Fußball hat England nicht gezeigt“, sagte Janusz Wojcik, der polnische Trainer. Sein Problem: „Nach zwanzig Minuten dachte ich, wir zeigen hier überhaupt keinen Fußball.“

Da lag Polen bereits 0:2 zurück. Paul Scholes, der offensive Mittelfeldspieler von Manchester United, hatte zweimal getroffen, einmal mit dem Oberarm. Auch das dritten Tor schoß Scholes. „Daß ein Mittelfeldspieler einen Hattrick schießt“, stöhnte Wojcik, „habe ich noch nicht erlebt.“ Kollege Keegan gab bekannt, er werde Scholes schlagen – zum Ritter: „Wir nennen ihn jetzt Sir Paul.“ Bei allen drei Treffern kam die Unterstützung für Scholes von den Angreifern Shearer und Manchester Uniteds Andy Cole, der einige phantastische, reaktionsschnelle Vorlagen produzierte. Das Spektakel, das sich viele von Keegans Engagement versprachen, war es aber nicht. Immerhin eine Szene gab es, die an den berühmten Keegan-Angriffsfußball erinnerte. Es war das Gegentor. So fahrlässig wie England bei Jerzy Brzeczeks Treffer (28.) hatte Newcastle United, der erste von Keegan trainierte Klub, auch oft Tore kassiert. „Ihr werdet wahrscheinlich sagen: Typisch für ihn, er kann nicht zu null spielen“, sagte Keegan unbekümmert.

Nur die vier Spiele bis zur Sommerpause werde er England betreuen und sich dann wieder ausschließlich um den Drittligisten FC Fulham kümmern, hat Keegan gesagt. Ob er in dieser kurzen Zeit prägenden Einfluß auf Englands Stil nehmen kann, bleibt zweifelhaft. Nur neben dem Spielfeld haben sich die Dinge schon sichtlich verändert. Während sein Vorgänger Hoddle bei den Pressekonferenzen zuletzt offen angefeindet wurde, kam die dringendste Frage an Kevin Keegan diesmal von einem Dutzend polnischer Journalisten – ob sie bitte Autogramme haben könnten. Ronald Reng