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Jeder Jungsfilm ist ein Science-fiction-Film

■ Darren Aronofskys Debütfilm „Pi“ handelt von der Obsession mit mathematischen Zahlen

Es beginnt programmatisch. Oder programmiert. Ganz wie man will. Drum & Bass schießt metallisch aus den Boxen, über die Leinwand laufen endlose Zahlenkolonnen. Schließlich klicken unzählige Riegel ins Schloß. Man ist in einer anderen Welt, fest verschlossen.

„Pi“ ist ein Film über Zahlen. Oder besser: ein Film über die Obsession mit Zahlen. „Das Leben ist nicht nur Mathematik“, sagt der alte Professor. Max, sein genialer Schüler, ist da ganz anderer Meinung. Das ist das Problem von Max.

Max lebt im New Yorker Chinatown in einem kleinen Apartment zusammen mit einem futuristisch wuchernden Hardware-Konglomerat, das er Euklid (natürlich!) nennt. Mit seinem Computer sucht er nach einem Muster in den Milliarden Ziffern von Pi, nach einer Logik im Aktienmarkt und schließlich in der Kabbala, die sich ebenfalls in Zahlen übersetzen läßt, nach dem Namen Gottes. Schließlich findet er eine 216 Ziffern lange Zahlenkombination, die er für den Schlüssel zum Leben hält. Fortan sind betrügerische Banker und radikale Juden hinter ihm her, während er von Migräneattacken geplagt wird.

Ähnlich phantasievoll mit Zahlen wie sein Protagonist war auch Autor und Regisseur Darren Aronofsky bei der Finanzierung seines Debütfilms. Die eh schon lächerlichen 60.000 Dollar brachte er zusammen, indem er 100-Dollar-Anteile an Familie und Freunde verkaufte und eine Gewinnbeteiligung versprach. Genauso wurde das Team bezahlt. Nachdem Aronofsky in Sundance den Regie- Preis in der Sparte Drama gewann, konnte er „Pi“ für eine Million verkaufen und alle ausbezahlen.

„Pi“ hat er in einem speziellen Schwarzweißmaterial gedreht, das nur noch selten benutzt wird, weil es kompliziert zu handhaben ist, aber Kontraste erlaubt, die man sonst nur noch aus der Fotografie kennt. Mit einem Videoclip-gestählten Team, eigens entwickelten Kameratechniken, einer stets aktiven Handkamera, einer Tonspur, die übelste Ängste hörbar macht, und einem Soundtrack von Clint Mansell (ehemals Pop Will Eat Itself), der nutzt, was der Sampler hergibt, entwickelt „Pi“ eine ästhetische Kraft, mit der die Geschichte leider nur selten mithalten kann. Mal schwelgt er in seinen schmutzigen, grobkörnigen Bildern, um im nächsten Moment in schnellen Schnitten zu explodieren. Im Vergleich dazu wirken die Schauspieler hölzern, wenn sie vortragen, wie ihr Leben von Zahlen beherrscht wird. Ein bißchen lächerlich ist es, wenn sich Max die Bohrmaschine drohend an die Schläfe hält. Die Schere zwischen Plot und Bild schließt sich meist nur, wenn sich Max zu pumpenden Elektro-Klängen mit Medikamenten vollstopft. Immerhin seine Paranoia wirkt realistisch, auch wenn schlußendlich als Aussage nur zu bleiben scheint, daß die Wissenschaft krank macht.

„Pi“ ist ein Science-fiction-Film in dem Sinne, daß auch hier ein unbekannter Raum erforscht wird, auch wenn der nicht im „outer space“, sondern hinter den Zahlen liegt. Aber wahrscheinlich ist jeder Jungsfilm ein Sci-fi-Film. Da Jungs aber momentan aussterben (bis auf die wenigen, die bei Oasis spielen), stehen auch Filme wie „Pi“ auf der Liste bedrohter Filmgenres. Der klassische Abschlußfilm, in dem ein 23jähriger in einem einzigen großen, anmaßenden und gerne in s/w gedrehten Wurf seinem Publikum endlich doch noch die Welt erklären will, scheint ausgedient zu haben. Man möchte das bedauern, wenn man andere Abschlußfilme sieht, die heutzutage oft nur noch schlecht getarnte Bewerbungsschreiben sind. Thomas Winkler

„Pi“, Buch und Regie: Darren Aronofsky. Mit Sean Gullette, Mark Margolis, Ben Shenkman u.a., USA 1997, 85 Min.

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