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Flüchtlinge als Medienspektakel

Deutschland fliegt Kosovo-Vertriebene aus Makedonien aus. Die Ankunft der ersten Flüchtlinge in Nürnberg gerät zur Inszenierung deutscher Hilfsbereitschaft  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Die Maschine wird so zum Stillstand kommen, daß sie genau in Längsrichtung zu Ihren Kameras steht.“ Die Nürnberger Polizeiführung hat alles perfekt organisiert. Auf dem Spielplan steht die Inszenierung der deutschen Hilfsbereitschaft für die vertriebenen Kosovaren. Die rund hundert Journalisten und Kameramänner aus dem In- und Ausland sind die Premierengäste; die ersten 59 Kosovo-Flüchtlinge, die nach Deutschland ausgeflogen wurden, die Laiendarsteller.

Die Aussichtsterrasse auf dem Nürnberger Flughafen, wo sonst Familien bei Kaffee und Kuchen den Starts und Landungen zusehen, wurde eigens für die Medien freigeräumt. Hinter Glas warten die Teams auf die Landung des grauen Luftwaffen-Airbus aus Skopje, ihre überdimensionalen Teleobjektive in Stellung gebracht, um den Gesichtsausdruck der ersten Flüchtlinge auf der Gangway „abschießen“ zu können. Doch exakt bei der Landung geht ein Platzregen herunter, Wassertropfen auf den Scheiben verschleiern die Sicht.

Noch im Flugzeug begrüßt Cornelie Sonntag-Wolgast, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, die Kosovo-Vertriebenen. Auch die bayerische Staatsregierung, sonst Flüchtlingen nicht gerade wohlgesinnt, läßt sich, vertreten durch Sozialstaatssekretär Joachim Herrmann, das Spektakel nicht entgehen. Herrmann, der als stellvertretender CSU-Generalsekretär einst die Unterscheidung zwischen „hoch willkommenen und eher unerwünschten Leuten“ in den Ausländerbehörden forderte, verkündet nun, daß „wir in Bayern den Vertriebenen gerne Zuflucht vor den Schrecken des Krieges und der Verfolgung“ geben.

Bayern ist Spitze, so lautet die CSU-Losung seit eh und je. Jetzt sind die Bayern wieder einmal die ersten im Land. Von Mittwoch nacht bis Donnerstag früh kamen rund 600 Flüchtlinge in Nürnberg an, bis zum späten Abend landeten weitere 600 in Hannover, Hamburg und Frankfurt/Main. Auch für die nächsten Tage sind weitere Flüge geplant. Daß Bayern auch deshalb so viele freie Kapazitäten in ihren Aufnahmestellen für ausländische Flüchtlinge haben, weil der Freistaat Spitze bei der „Rückführung“ der Bosnien-Flüchtlinge war, verschweigt Herrmann geflissentlich.

„So schön kann reisen sein“, steht auf den Bussen, die die in Nürnberg eingetroffenen Flüchtlinge in die Landesaufnahmestelle fahren. Dort werden die Busse schon von der Journalistenschar erwartet. Fünf Frauen aus dem Kosovo, die schon vor Jahren nach Deutschland gekommen sind und nun vor dem Tor stehen und auf Familienangehörige warten, brechen in Tränen aus. Ein Fehler, denn in Sekundenschnelle bricht über sie ein Verschlußgewitter der Fotoapparate herein, die Kameralinsen zentimeternah an den Tränen. Sofort ist das Spektakel wieder zu Ende, denn der Journalistentroß hat ein neues Ziel: Staatssekretär Herrmann präsentiert vier Flüchtlinge.

Frisch angekommen sitzen sie nun, drei Männer, eine Frau und zwischen ihnen der Staatssekretär, in einem viel zu kleinen Raum den Journalisten gegenüber, die auf Tischen stehend ihre Objektive heranzoomen. „Stellen Sie doch Ihre Fragen“, beginnt Herrmann. Ein kurzer Moment der Stille, der die Hilflosigkeit der Journalisten ebenso offenbart wie die folgende Frage: „Wie geht es Ihnen?“ „Wir sind sehr müde“, übersetzt der Dolmetscher. Man wolle „erst mal ein Bett, duschen, etwas essen“.

Dann die Frage, ob ihnen das Zielland ihrer Flucht egal sei. „Nein“, so die vom Fragesteller auch erwartete Antwort, „wir kommen lieber nach Deutschland, man sagt, hier sei alles besser.“ Dann aber der Nachsatz: „Am liebsten aber wären wir in unserer Heimat geblieben.“ Trotzdem kommt wie aus der Pistole geschossen die dümmliche Nachfrage, ob es denn schwer sei, die Heimat zu verlassen. Müde blickt das Flüchtlingsquartett drein. „Jeder wollte eigentlich so nah wie möglich am Kosovo bleiben, aber die makedonischen Behörden wollten dies nicht“, sagen die vier, bevor sie auf ihre Zimmer dürfen. Zur Stärkung gibt es einen Eintopf. Ein anstrengender Tag ist zu Ende, der Vorhang fällt.

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