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Als Abräumer ist er ein Goliath

Der Niederländer Edgar Davids hat es allen Trotteln gezeigt: Mit Juventus Turin definiert er Europas Spitzenfußball. Der Grund: Er ist nicht mehr ganz so paranoid wie früher  ■ Von Simon Kuper

Das letzte Mal, als Edgar Davids und ich uns unterhielten, ging es um Mode. „Du“, schrie er rüber, „du bist richtig schlecht angezogen.“ Er würde doch wohl sicher nicht mich meinen, entgegnete ich. Da rief er in seinem besten Black American English: „Damn Yes.“

Edgar Davids ist Fußballprofi. Im Mittelfeld des Champions- League-Halbfinalisten Juventus Turin ist er so wichtig wie bei Manchester United Roy Keane. Also ungleich wichtiger als bei Bayern München Jens Jeremies. Außerdem ist Davids paranoid, aggressiv und gelegentlich gewalttätig.

Als er in der Jugend von Ajax Amsterdam spielte, wurde er so oft vom Platz gestellt, daß ein Offizieller des Klubs ihn nach Mailand und Turin mitnahm, um ihm zu zeigen, wie gut das Leben für Fußballprofis sein konnte, wenn sie richtig groß herauskamen. Er verwendete damals einen großen Teil seiner Energie, um seine Gegenspieler zur Weißglut zu bringen. „Masturbation“ pflegte sein Trainer Louis van Gaal das zu nennen. Damals ging der junge Davids in einer Amsterdamer Bar auf den Tennisprofi Richard Krajicek zu und sagte: „Du, ich wette, du weißt nicht, wer ich bin.“ Krajicek konnte das nur bestätigen. „Meine Name ist Edgar Davids“, klärte Davids ihn auf, „und in ein paar Jahren werde ich für Holland spielen und ein großes Auto fahren.“ Dann stolzierte er davon.

Es ist Wut. Die trägt er in sich, und die hat ihn zu dem Fußballer gemacht, der er heute ist. Davids war Teil jenes Ajax-Teams, das 1995 die Champions League gewann und 1996 im Finale gegen Juventus verlor. Es war Davids, der damals den entscheidenden Elfmeter verschoß. Während der ganzen Zeit blieb er ein schwieriger Charakter, der in einer mentalen Welt lebte, die fast ausschließlich bevölkert war von wahren Freunden (die anderen Spieler surinamesischer Abstammung bei Ajax), Trotteln (mehr oder weniger alle anderen, die er kannte) und Helden (Leute, über die er in Büchern las).

Davids ist Autodidakt, und er ist besessen von Basketballspielern und Rappern. Sein größter Held ist immer der NBA-Profi Dennis Rodman gewesen. Dessen Autobiographie „Bad as I wanna be“ (deutsch: „Der Abräumer“) hat er auswendig gelernt.

So war er drauf, als er sich bei der EM 1996 aus dem niederländischen Trainingslager in St. Albans verabschiedete, nachdem er Trainer Guus Hiddink geraten hatte, den Kopf aus den Ärschen bestimmter (weißer) Spieler zu nehmen. Das war, obwohl er es nie zugegeben hat, ein Zitat von Rodman. Danach begann er einen Feldzug gegen niederländische Journalisten. Bei Pressekonferenzen pflegte er sich ausländische Reporter herauszusuchen und mit ihnen in fließendem Italienisch oder Englisch zu reden – bis ein Holländer kam und zuhören wollte. Daraufhin verstummte er.

Seine Persönlichkeit tat seinem Fußballspiel Gewalt an. Zwar ließ er die Gegner jetzt in Ruhe, dafür stand er unheimlich gerne einfach da – mit dem Fuß auf dem Ball. Das hielt er für die Boss-Pose. Johan Cruyff sagte, er würde zuviel dribbeln.

1996 ging Davis zum AC Mailand. Alles begann gut. Aber dann brach er sich ein Bein und verschwand auf der Bank. Im Dezember 1997 ließ ihn Milan zu Juventus ziehen, für gerade mal 8,7 Millionen Mark. Man war schlicht froh, ihn los zu sein. Während der Transferverhandlungen war er auf dem Mailänder Trainingsgelände Milanello mit einem Juve-Trikot unter dem Arm erschienen.

In Turin begann er plötzlich vernünftig zu werden. Als kleiner schwarzer Junge, der in der Trabantensiedlung Amsterdam-Nord aufwuchs, hatte er sich Juventus als den ultimativen Klub vorgestellt. Oder wie er das nennt: „Cool.“ Nun war er mitten unter den Helden aus seinen Büchern. Das hat ihm gut getan. Jetzt rennt er nicht mehr mit dem Ball, weil sogar ihm inzwischen klar ist, daß Zinedine Zidane das besser kann. Beim 1:1 in Manchester letzte Woche definierten er und Zidane das Mittelfeldspiel auf höchstem europäischem Niveau. Davids' Job ist es, für Zidane zu arbeiten, Bälle zu gewinnen und dann den einfachen Paß zu spielen. Er ist ein Abräumer, für den es so etwas wie einen 50/50-Ball nicht gibt. Nur ab und zu zeigt er, daß er mehr können will.

Seit er im letzten Mai sein drittes Champions-League-Finale erreicht hat, gegen Real Madrid, ist er auch ein Held. Juve verlor, aber Davids spielte hervorragend. Juve gewann dann auch die italienische Serie A. Und die Trottel, die ihn einst davongejagt hatten, standen dumm da. Adriano Galliani, Vizepräsident von Milan, witzelte: „Ich werde anordnen, daß Davids zurückgeholt wird.“ Und Hiddink holte ihn wieder ins niederländische Team. Er begann die WM auf der Bank und beendete sie als bester Spieler eines Teams, das zwar nicht die WM gewann, aber für viele den besten Fußball der Welt gespielt hat.

Vor einem Monat ist Davids gerade mal 26 geworden. Inzwischen ist er sogar niederländischer Vizekapitän. Wenn Juventus kommenden Mittwoch zu Hause Manchester United ausschaltet, wird er im Mai sein viertes Champions- League-Finale in fünf Jahren spielen. Entspannen wird ihn das nicht. Er entspannt ja nie. Aber inzwischen müßte eigentlich auch Davids wissen, daß er es geschafft hat.

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