: Kurdenfreie Zone Hauptbahnhof
■ Platzverweis für Azubi auf dem Weg zum Arzt / Polizeikontrolle „ohne jede Rechtsgrundlage“ / Kritik auch von der Anwaltskammer Von Silke Mertins
Demir B. macht immer einen extra großen Bogen, wenn er seinen Onkel am Steindamm abholen will. Ganz normal übers Bahnhofsgelände zu schlendern, traut sich der 20jährige Azubi eines Hamburger Vier-Sterne-Hotels schon lange nicht mehr. Sein Problem: Er ist Kurde. Als er sich am Dienstag mittag mit seinem 15jährigen Freund am Hauptbahnhof verabredet, um zum Arzt zu gehen, machen sie bewußt einen Treffpunkt abseits der Drogenszene aus.
Doch es nützt alles nichts: Die beiden Jungs müssen der Polizei ihre Pässe vorzeigen und bekommen sofort einen Platzverweis, sprich ein Aufenthaltsverbot für vier Stunden. Demirs Paß sei „eine Fälschung“, so der kontrollierende Polizist. „Ich habe noch nie etwas mit der Drogenszene zu tun gehabt“, sagt Demir, der seit 15 Jahren mit seinen Eltern in Hamburg lebt.
GAL-Referent Peter Mecklenburg, der die Szene beobachtete, formulierte mit den kurdischen Jungs einen Widerspruch und marschierte mit ihnen zur Polizeiwache 11 in der Kirchenallee. Laut Mecklenburg wollte aber Revierleiter Schneider den Platzverweis solange nicht aufheben, „wie nicht nachvollziehbar ist, zu welchem Arzt er geht“.
Den verteilten Platzverweisen will die GAL jetzt juristisch auf den Zahn fühlen: Im Fall Demir B. wird es eine Feststellungsklage geben. Denn: Wer seinen Arzt, Rechtsanwalt oder eine Drogenberatungsstelle aufsuchen will, darf daran nicht gehindert werden. Die Polizei ist auch nicht befugt, die Angaben nachzuprüfen.
„Es gibt ein Recht auf freie Arztwahl“, so der Sprecher der Ärztekammer Dieter Schmidt, „Ärzte würden und dürfen keine Auskunft geben, noch nicht einmal dem Ehepartner und schon gar nicht der Polizei.“ Und auch die Rechtsanwaltskammer lehnt jeden „Verwaltungsakt ab, der dazu führt, daß die Berufsausübung von Rechtsanwälten behindert wird“, so Pressesprecher Hartmuth Scharmer.
Der St. Georger Rechtsanwalt Ernst Medecke hatte sich bei der Kammer darüber beklagt, daß Platz- und Gebietsverweise und deren Überprüfung das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Mandanten gefährdeten. „Wir sind doch nicht bei Karstadt“, schimpft Medecke, „man kann doch nicht aufgrund der Tatsache, daß es in einem Viertel erhöhte Kriminalität gibt, willkürlich Platzverweise und Gebietsverbote erteilen.“ Schließlich sei das Viertel kein militärisches Sperrgebiet.
Zu kontrollieren, ob jemand wirklich zum Rechtsanwalt geht oder die Nennung dessen Namens zu erzwingen – ein Polizeikommissar hatte vorgeschlagen, einen „Passierschein“ für den Anwaltsbesuch auszustellen – verstoße gegen Grundrechte. Für polizeiliche Kontrolle „gibt es keine Rechtsgrundlage“, so Medecke. Besonders absurd seien die Polizeimaßnahmen zur „Zerschlagung“ der Drogenszene für diejenigen, die in St. Georg wohnen, denn: „Die Stadt selber hat kurdische Flüchtlinge in hiesige Hotels eingewiesen.“
Polizeisprecher Werner Jantosch bestreitet hingegen, daß eine Überprüfung überhaupt stattfindet. Wenn jemand sagt, er müsse zum Arzt oder wolle in eine Drogeneinrichtung, würde er daran nicht gehindert. „Wir verletzen keine Persönlichkeitsrechte“, nimmt Jantosch die Polizisten in Schutz. Es würde weder angerufen noch hinterhergegangen oder in anderer Weise die Richtigkeit der Angaben kontrolliert: „Dieses Thema ist abgefrühstückt“, so der Polizeisprecher.
Wenn er sich da mal nicht irrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen