piwik no script img

Kein weites Feld

■ Ach, Theodor! Günter Grass las in der Freien Akademie der Künste – Sie wissen schon! Von Dirk Knipphals

Die Räume der Freien Akademie der Künste in Hamburg sind von einer fast aufdringlichen Zurückhaltung. Dekorativ ist da nur das halbrunde Dach des Veranstaltungssaales. Wie stark könnten in diesem unbedingt modernen Umfeld die prallen Schweinereien, die barock überbordenden Sätze des frühen Günter Grass wirken. Könnten!

Eng, sehr eng gestellt waren die Stühle am Montag abend in eben dem Veranstaltungsraum, doch längst nicht eng genug. Günter Grass war gekommen, um seinen neuen Roman – Sie wissen schon! – jetzt auch in Hamburg vorzustellen. Viele Interessierte mußten draußen bleiben. Noch nach einer Stunde waren von jenseits der Eingangstür Sprechchöre zu vernehmen: „Wir wollen rein! Wir wollen rein!“ Was Grass dann irgendwann den einen Satz entlockte, der an diesem Abend aufhorchen ließ: „Offenbar kann sich Literatur doch gegen die Medien behaupten.“ Das könnte, wenn es denn tatsächlich um Literatur ginge, ein tiefer Satz sein. Was sich da aber tatsächlich behauptete, das war wohl eher die Medienfigur Grass.

Alsdenn. Grass las die ersten zweieinhalb Seiten des Romans, das ganze dritte sowie zwei Episoden aus dem vierten Kapitel. Er las so, wie Günter Grass eben liest. Vielleicht nur ein bißchen zurückgenommener, als es zu erwarten war, so, als wolle er den Text nach der herben Kritik, die er einstecken mußte – Sie wissen schon! –, jetzt erst recht selbst sprechen lassen. Wie dem auch sei, die Male, in denen im Publikum wirklich Anteilnahme an dem Gelesenen zu spüren waren, ließen sich an einer Hand abzählen.

Das dritte Kapitel also. Umständlich erläutert Grass dort anhand verschiedener Zeichnungen und Gemälde die Physiognomie des jungen und des alten Fontane, er kommt auf den berühmten Schal, mehrmals auch auf den Schnauzer des Meisters zu sprechen und zieht Verbindung über Verbindung hin zu Fontanes Wiedergänger, hin zu Fonty. Denn Fonty, so will es der Roman, ist Fontane und irgendwie auch wieder nicht, es geht um die deutsche Vereinigung und um die Reichsgründung von 1871 – Sie wissen schon!

Man müßte das alles nicht nacherzählen, wenn nicht sogar schon diese Lesestücke, die doch eigentlich Paradeabschnitte sein sollten, in der Lage wären, alles Schlimme über den Roman zu bestätigen, was zu lesen war. Am Schluß des Kapitels spazieren Fonty und Hoftaller/Tallhover, sein Tag-und-Nacht-Schatten – ! –, dem Brandenburger Tor zu. Es ist der Silvesterabend 1989/1990. Zwei deutsche Staaten sind im Begriff, sich zu vereinigen. Eine Menschenmenge, getragen von nationalen Gefühlen. Es wird das Deutschlandlied angestimmt, erst die dritte, dann gar die erste Strophe. Was für eine Szenerie! Was hätte der Günter Grass der Blechtrommel daraus gemacht! Und was macht der heutige Günter Grass? Eine Plauderei, einen Spaziergang zweier alter Herren, vorgetragen in einem selbstverliebten Strom spannungsloser Beschreibungssätze. Da sage noch einer, lieber Herr Sandig, die Kritik an dem neuen Grass wäre nicht literarisch begründet.

Armin Sandig, der Präsident der Akademie, war nämlich in seinen einführenden Worten auf die gegenwärtigen Medienauseinandersetzungen um Grass zu sprechen gekommen. Er hatte gesagt, die vernichtende Kritik des Romans folge in Wahrheit keinen literarischen Kriterien, sondern ziele auf die politische Haltung des Autors. Sandig sprach von „Meinungsmache“ und davon, daß „letzte Möglichkeiten zum eigenen Denken“ verstopft würden.

Herr Sandig: Das ist, man muß es einfach mal so deutlich sagen, alles nicht wahr. Im Gegenteil sind die Besprechungen des Romans fast durchgängig in der Lage, einem das Vertrauen in die deutsche Literaturkritik zurückzugeben. Es ist eben kein weites Feld, sondern ganz einfach: Ein berühmter Schriftsteller hat ein langweiliges Buch geschrieben. Mehr ist an der Sache nicht dran.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen