Tradition/Moderne-Elektrolyse

■ Morgen in Hamburg: Werkbericht der Schweizer Architekten Marques & Zurkirchen

Die wohl schwierigste, aber vielleicht auch edelste Herausforderung an Architekten, die sich nicht nur als Künstler begreifen, besteht in dem Versuch, die Befangenheit durch historische Vorbilder oder örtliche Vorgaben abzulegen, ohne dabei die gegebene Atmosphäre und Geschichte eines Ortes zu ignorieren. Spätestens seit dem Einbruch der Moderne in die Architektur und der darauf folgenden stilistischen Explosion erhöhte sich die Frage nach dem Dialog von Alt und Neu zu einem Frontverlauf, an dem sich die Geister und ihre Beurteilung der Qualität von Architektur schieden und scheiden.

Weicher Verlauf oder harter Kontrast, Umarmung oder Streit, Würdigung oder Interpretation, die Begriffspaare über die Frage, wieweit sich ein Neu- neben einem Altbau selbst behaupten dürfe, trennt nicht nur Moderne von Konvention, sondern zersplittert auch die Diskussion innerhalb dieser Lager noch. Die Spanne baulicher Lösungen in bezug auf lokale Rahmenbedingungen reicht dann auch von eindimensional vereinfachten Plagiaten über zitatbefrachtete Kalenderarchitektur bis zu arroganten Schnitten und mutigen Originalen, die ein Spannungsverhältnis zwischen den Zeiten ohne Überheblichkeit thematisieren.

In diesem Feld suchen die meisten zeitgenössischen Architekten ihren persönlichen Ort. So auch Daniele Marques und Bruno Zurkirchen, die morgen abend in der Veranstaltungsreihe der Hamburgischen Architektenkammer Architektur in der Schweiz ihre Arbeit vorstellen werden. Die Vortragsserie, die sich nicht den etablierten Stars wie Mario Botta, Herzog & de Meuron oder Atelier 5 widmet, sondern der eher jungen Generation um die Vierzig, bestätigt die Tendenz, daß gerade die gesittete Gediegenheit der traditionellen Schweizer Architektur die zeitgenössischen Baumeister zu untypischen, gewagten, originellen Lösungen herausgefordert hat, die oft im Dialog zwischen Postkarte und Avantgarde zu vermitteln versuchen.

Das Luzerner Büro Marques & Zurkirchen hat gerade in diesem Gebiet einige bemerkenswerte Projekte entwickelt und teilweise auch umgesetzt. Betrachtet man sich ihre Vorschläge, so fällt als erstes ins Auge, daß die Architekten traditionelle Elemente entzerren, verrücken und aufreißen, um so Platz für eine sachliche Moderne zu erhalten. Ein Einfamilienhaus auf freier Wiese in Meggen stellt sich von der Seitenansicht als unaufregender Putzbau mit flachem Satteldach dar, hinter dem man eher einen Kuhstall oder eine Melkanlage erwarten würde, als die klassisch moderne, mit Fensterbändern und fließenden Räumen gestaltete Behausung, die sich zur Seeseite hin öffnet.

Und ein weiteres Einfamilienhaus in Sursee zerdehnt die dörfliche Bauweise mit Satteldach in die Breite, so daß eine eigenwillige Proportion entsteht, die zwischen amerikanischen und schweizerischen Landhäusern vermittelt und in der Fenstergestaltung und -setzung noch versteckte Zitate an ihren Lehrmeister Aldo Rossi zuläßt.

Trotz oft rigoroser Bauvorschriften in ländlicher Umgebung wie in städtischen Quartieren gelingt es Marques & Zurkirchen in der Regel, aus den Gegenpolen traditioneller Embleme und klassisch moderner Eleganz Resultate von schlichter Schönheit zu schaffen, die einen Kern „Heimat“ in sich tragen. Ein Theaterprojekt für Neuchatel etwa verbändelt die Assoziation an eine riesige Scheune, also den Kunstboden des Volkes, mit dem repräsentativen Ambiente bürgerstaatlicher Selbstdarstellung. Daß hier, wie bei den meisten anderen Projekten des Büros, die selbstbewußte Geste schöpferischer Menschen nicht zugunsten angepaßter Verträglichkeit reduziert wird, bewahrt die kritische Tradition-Moderne-Verschränkung vor dem Mißlingen.

Till Briegleb

Morgen, 18.30 Uhr, Freie Akademie der Künste, Klosterwall 12