: Großer Steuermann des chinesischen Films
■ Eine Begegnung mit Xi Jin, seit einem halben Jahrhundert einflußreicher Filmregisseur in der Volksrepublik China
Liegt China, dieses Riesenland, etwa doch nicht so weit von Hamburg entfernt, wie ein flüchtiger Blick auf einen Globus das weismachen will? Jedenfalls sitzt Xi Jin, der berühmte chinesische Filmregisseur, sehr wach auf dem Sofa in einer Privatwohnung in Uhlenhorst und ist aufs äußerste gewillt, anläßlich der gegenwärtigen Hamburger China-Wochen seinen Beitrag zur chinesisch-deutschen Kulturverständigung zu leisten. Dabei war sein Flieger erst am Abend zuvor gelandet. Xi Jin aber erweckt den Eindruck, als sei das ein Klacks, die Entfernung von Shanghai nach Fuhlsbüttel.
Im Verlauf des Gesprächs wird sich allerdings herausstellen, daß China und das westliche Denken doch ganz schön weit auseinander liegen. Und wie weit der chinesische Film – trotz der Erfolge, die er in den vergangenen Jahren auch in Deutschland feierte – immer noch entfernt ist, das zeigt ein Vergleich mit dem Besuch eines zweiten bedeutenden Filmschaffenden, der in diesen Tagen ansteht. Man muß kein Prophet sein, um vorherzusagen, daß die Hamburg-Visite Clint Eastwoods, der übermorgen zur Premiere seines neuesten Films sein Gesicht in die Kameras hält, von einem gewaltigen Pressebahnhof begleitet sein wird.
Wie anders dagegen der Besuch Xi Jins. Einige Vorführungen seiner Filme mit Anwesenheit des Regisseurs. Einige Treffen unter Interessierten. Ein Essen in einem China-Restaurant. Dürftig genug. Ein gewisser Stadtteil von Los Angeles, Hollywood genannt, liegt da allemal näher.
Man braucht sich gar nicht zu vergegenwärtigen, daß Xi Jin als Lehrer so bedeutender Regisseure wie Zhang Yimou oder Chen Kaige gilt, deren Filme Rote Laterne oder Lebewohl, meine Konkubine auch hierzulande die Zuschauer begeisterten, um das Gefälle der beiden Besuche mehr als nur ein bißchen merkwürdig zu finden. Es reicht ein Blick auf Xi Jins Visitenkarte. Sie umfaßt zehn Titel.
Xi Jin ist nicht nur Mitinhaber und Geschäftsführer der allerersten privaten chinesischen Film- und Fernsehproduktionsfirma. Er ist auch Vizepräsident der chinesischen Behindertenorganisation, Mitglied der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences der USA sowie Gastprofessor der Universität von Fudan, nur zum Beispiel. Bedenkt man, daß Xi Jin gerade ein historisches Mammutprojekt vorbereitet, das anläßlich der Vereinigung von China und Hongkong in die Kinos kommen soll, wird man nicht umhinkommen, dem 72jährigen ein ausgefülltes Leben zu unterstellen.
Deutschland besucht Xi Jin zum ersten Mal übrigens. Es sind dabei wie so oft gar nicht die inhaltlichen Aussagen, die man von der Begegnung in Erinnerung behalten wird. Es sind vor allem die Nebenaspekte, sozusagen das untergründige Wahrnehmungsrauschen, was das Gedächtnis speichert. So ist das erste, was an Xi Jin auffällt, seine unglaubliche Vitalität. Seine 72 Jahre sieht man ihm nicht an. Und als zweites beeindruckt merkwürdigerweise seine Art, Zigaretten zu rauchen. Eigentlich ständig während der knapp zwei Stunden, die das Gespräch dauert, hält Xi Jin eine brennende Zigarette zwischen den Fingern, und am Schluß hat er dann doch nur vier Stück aus der chinesischen Schachtel mit der darauf abgebildeten Pagode gezogen. Es liegt eine ganz eigene Art der Gelassenheit in dieser Form des Rauchens.
Und spätestens nach der zweiten Zigarette ist klargeworden, daß das ursprüngliche Vorhaben nicht durchzuführen sein wird. Das Gespräch läßt sich nicht in der Interviewform dokumentieren. Denn so, wie Xi Jin raucht, so verläuft auch das Gespräch, so festlich und so umschweifend. Liegt es nun an den Verschiebungen, die ein Dolmetschen zwischen dem Chinesischen und dem Deutschen wohl notgedrungen mit sich bringt, liegt es an der ausschweifenden Weise der chinesischen Gesprächsführung? Eindeutige, aus sich selbst heraus verständliche Aussagen fallen kaum. Die Fremdheit zwischen den beiden Kulturen spricht bei allem Bemühen ständig dazwischen, China ist eben doch weit weg.
Zu erfahren gibt es natürlich dennoch eine Menge. Zum Beispiel über Xi Jins Verhältnis zur gegenwärtigen, zur sogenannten Fünften Generation der chinesischen Filmemacher. Befragt, wie er mit seinen Schülern Chen Kaige oder Zhang Yimou zufrieden sei, erzählt Xi Jin zunächst ausholend von seinen eigenen Grunderfahrungen, die im Zweiten Weltkrieg gründen, dann kommt er auf die Fünfte Generation zu sprechen, die vor allem durch die Erfahrung der Kulturrevolution geprägt wurde.
Menschen, die so Unterschiedliches erlebt hätten, so Xi Jin, könnten nicht dieselben Filme machen. Worin unterscheiden sich aber die Filme? Das deutet Xi Jin mehr an, als daß er es ausführt. Für ihn selbst, sagt er, stehe immer die Handlung im Vordergrund, er verstehe sich als Schriftsteller, nur daß er eben mit der Kamera schreibe. Die Fünfte Generation dagegen setze mehr auf die Bildästhetik.
Um diese Aussage zu verstehen, lohnt es sich zu wissen, daß Xi Jin seit einem halben Jahrhundert sehr erfolgreich Filme in China macht, während Chen Kaige und Zhang Yimou Erfolge zunächst nur im Ausland aufzuweisen hatten und erst allmählich auch in ihrer Heimat verstanden werden. Ist Xi Jin also ein geschickter Opportunist, der sich durch alle Wechselbäder der chinesischen Politik hindurch stets an der Oberfläche halten konnte?
Nun, geschickt mag er sein, auch im Umgang mit der Macht, aber ein Opportunist ist er ganz und gar nicht. In den 50er Jahren war er es, der dafür stand, den chinesischen Film für fremde Einflüsse zu öffnen. Er hat damals das amerikanische Kino rezipiert, auch vom italienischen Neorealismus ließ er sich nachdrücklich beeinflussen. Und was die Kulturrevolution betrifft, so hat er sich mit ihr nicht nur in seinen im Westen wohl bekanntesten Filmen Hibiskusstadt und Der alte Mann und sein Hund beschäftigt. Xi Jin war stets ein liberaler Intellektueller. Sein neuester Film lief gerade auf dem Frauenforum in Bejing.
Man muß die Menschen lieben. Film als Aufarbeitung der Geschichte des Landes. Die Handlung steht im Vordergrund. Im Verlauf des Gesprächs, in dem diese Aussagen fallen, ist der Eindruck zu gewinnen, Xi Jin sei so etwas wie ein chinesischer Heinrich Böll. Wenn denn überhaupt so eine Form des Vergleichs möglich ist.
Westliche Journalisten haben es sich angewöhnt, den Stand des chinesischen Films als Gradmesser für die politische Situation des Landes zu lesen. Die Fünfte Generation gilt dabei als Indikator, was alles schon möglich ist, etwa in der Thematisierung von Homosexualität. Gerade weil Xi Jin sich nun nicht als Avantgarde versteht, sondern Filme für die Masse der chinesischen Kinozuschauer zu machen gedenkt (Steven Spielbergs Schindlers Liste bewundert er sehr, weil der Film Geschichtsaufarbeitung mit Breitenwirkung verbindet), läßt sich bei ihm erfahren, wo das Schwergewicht der chinesischen Politik liegt. Und bei allem Optimismus, die der Regisseur ausstrahlt, und aller Westöffnung, für die er steht, es gibt da offenbar immer noch enge Grenzen.
Mehrmals betont Xi Jin, wie wichtig Stabilität für China sei – stets die Formel, vor zu großer Freiheit zu warnen. Von der westlichen Form der sexuellen Freizügigkeit hält er gar nichts. Und daraufhin befragt, wann er denn einen chinesischen Film für möglich halte, der die Geschehnisse auf dem Tiannanmen-Platz in Bejing zeige, antwortet er lavierend. Um einen guten Film zu machen, müsse man wissen, was tatsächlich passiert sei, das wisse man bei den Ereignissen aus dem Jahr 1989 aber noch keineswegs, und überhaupt sollten wir wieder, so lächelt Xi Jin, auf seine Filme zurückkommen.
Von wegen one world. Den irgendwie staatstragenden Hinweis darauf, daß gerade auch Filme den Graben zwischen verschiedenen politischen Systemen und gewachsenen Kulturen überbrücken können, verkneifen wir uns jetzt. Denn sie können es dann eben auch wiederum nicht, man erfährt nur etwas über die Unterschiede (was allerdings schon genug ist). Xi Jin hält eine Zigarette in der Hand. Gelassen steigt der Rauch gerade empor. Auch sonst bleibt manches in der Schwebe. Klar ist allerdings: Einen Wettbewerb im Langsamrauchen hätten wir verloren.
Dirk Knipphals
Morgen, Dienstag, um 21.15 Uhr zeigt das Metropolis Xi Jins Film „Der alte Mann und sein Hund“. Der Regisseur wird anwesend sein.
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