piwik no script img

Der große Weg

■ Das Kennzeichen „typisch chinesisch“ hat ausgedient: junge Kunst aus dem Reich der Mitte auf Kampnagel

Sterne aus der Staatsflagge zu verkaufen! Im Rahmen der Hamburger „China Wochen“ zeigt sich die aktuelle Avantgarde-Kunst aus dem Reich der Mitte ganz auf dem Kurs der wirtschaftlichen Öffnung. Zwölf Künstler hat Li Xianting, einer der berühmtesten Kuratoren Chinas, für eine Ausstellung auf Kampnagel ausgewählt. Drei von ihnen haben an der Hamburger Hochschule für bildende Künste bei KP Brehmer studiert.

In ihrer Vielgestaltigkeit geht die ambitionierte Ausstellung über ihre Vorläufer hinaus. Es war ja zu vermuten, daß die „Politische Pop-Art“ und der „Zynische Realismus“, die seit Anfang der 90er Jahre als Reaktion auf den verordneten sozialistischen Realismus mehrfach in Europa vorgestellt wurden, nicht die ganze Breite der Gegenwartskunst in China ausmachten. Es gilt 1995 nicht mehr, Stellung zu beziehen zu einem streng politisch formulierten Gesellschaftsentwurf, sondern darum, formale und inhaltlich Freiheiten zu erweitern. Um mit Lao Tse zu sprechen: „Der große Weg verströmt sich.“

Aus dem so weit entfernten asiatischen Riesenstaat werden uns nun nicht mehr Kalligraphien noch politische oder religiöse Wegrichtungen angeboten. Vielmehr werden Themen zurückgespiegelt, die wir nur zu gut kennen: Sex und Rauschgift, gesellschaftliche Konfrontation und kapitalistischer Bauboom. Auch das gebrochene Pathos des Begriffs Heimat bearbeitet eine Installation mit Muttererde in Tüten. Doch mit der Vielfalt wird das Urteil schwerer. Denn was sich so wenig als „typisch chinesisch“ festlegen läßt, muß sich ohne solche Filter offen mit den Vorlieben des hiesigen Kunstmarktes konfrontieren.

Die Hälfte der Künstler zeigt Malerei: Das positive Erbe einer fundamentalen Ausbildung in Realismus mag das Zurückdrängen des Tafelbildes im hiesigen Kunstbetrieb überdenken lassen. Dennoch erscheinen plastische und inszenierte Arbeiten interessanter: Xu Jiang formt aus echten Schuhen einen schachspielartigen Kampf in fünf großen Relieftafeln. Qiu Zhijie reflektiert mit gläsernen Objekten die Grenzen der Privatheit. Wu Shanzhuan installiert zusammen mit Inga Svala Thorsdottir (als ein Teil des Künstlerpaars ist sie sozusagen „Ehrenchinesin“) ein Immobilienbaubüro samt Bambusgerüst und inszeniert den Ausverkauf des Landes und sogar seiner Sterne. Wang Qiang zeigt sparsam gestaltete Plexiglas-Wasser-Schaumstoff-Objekte in der Art des internationalen Minimalismus, und Shi Hui, die einzige Frau in der Auswahl, stellt in mühevoller Handarbeit aus Papiermasse insektenbauähnliche Skulpturen her.

In der Implosion der Weltkulturen belegt zumindest diese Auswahl, daß das Fremde so fremd nicht ist, oder anders ausgedrückt: Der Künstler aus Peking ist mir näher als der Schäfer aus der Lüneburger Heide, zumal wenn er sich noch auf die speziell deutsche Kunstvariante des „Kapitalistischen Realismus“ der späten 60er bezieht. Diese Kunst funktioniert weltweit, doch das Wissen um den chinesischen Hintergrund ergibt zusätzliche Bedeutungen. Nur so erschließt sich beispielsweise die Sprengkraft, die Darstellungen des nackten Menschen im zwangsprüden China haben.

Auch ist dem Spiel kultureller Mehrfachübertragungen nachzuspüren: Hatten sich in Europa Informel und Surrealismus in den Fünfziger Jahren auch an asiatischer Kalligraphie orientiert, rezipieren nun chinesische Künstler wieder die Bilder von Hartung, Tapies und Miro und kommen so zu doppelt doppeldeutigen Bildern. Der in Hamburg lebende Shan Fan, auf den Idee und Zustandekommen der Ausstellung zurückgeht, unterlegt seinen farbschönen Arbeiten zudem noch politisch gemeinte Bildzitate und nimmt so teil an der Wanderung auf des Messers Schneide, die alle zwölf Künstler hier betreiben. Denn diese aktuelle Kunst wird vom Staat keineswegs gefördert, sie wird bestenfalls toleriert. Hajo Schiff

„Der Abschied von der Ideologie“, Halle K3 auf Kampnagel, täglich 16–20 Uhr, bis 30. 9. Öffentliches „Chinesisch-deutsches Künstler-Forum“, Casino Kampnagel, 9. + 10. 9., 12–18 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen