: Die Bescheidenheit erreicht höheres Niveau
■ Unverhohlen spricht man in Wolfsburg nach dem 1:0 gegen 1860 vom Uefa-Cup
Wolfsburg (taz) – Der VfL Wolfsburg will in den Uefa-Cup. Noch mal: Der VfL Wolfsburg will in den Uefa-Cup. Wirklich. Zuerst die Fakten: Das 1:0 am Samstag gegen 1860 München war der dritte VfL-Sieg in Folge, der Vorsprung auf den direkten Rivalen im Kampf um Platz sechs ist damit sieben Spieltage vor Schluß auf satte acht Punkte angewachsen. Trainer Wolfgang Wolf hatte sich zur Abwendung der drohenden Unglaubwürdigkeit bereits von aller Bescheidenheit verabschiedet und vor der Partie erklärt: „Unser Ziel ist jetzt der Uefa-Cup-Platz.“
Und wie erklären wir Fußball- Deutschland, daß das tatsächlich zu klappen scheint? Vielleicht mit einem Satz des Wolfsburger Liberos Holger Ballwanz, gesprochen nach dem Sieg am Samstag. „Wir haben keine überdimensionalen Einzelspieler, aber stehen immer so kompakt, daß wir es dem Gegner auch schwermachen, wenn es bei uns nicht so läuft.“ Klingt nach langweiligem Fußball-Blabla, ist aber eine genauere Betrachtung wert. Zerlegen wir die Aussage. „Wir haben keine überdimensionalen Einzelspieler.“ Stimmt. Kaum ein Bundesliga-Team ist so wenig von der Tagesform eines einzelnen Akteurs abhängig wie Wolfsburg. Wo andere ihren Marschall, ihren Balakow, ihren Kirsten oder ihren Effenberg haben, hat der VfL jede Woche einen oder zwei andere. Auch zum Toreschießen. Andrzej Juskowiak trifft nicht mehr, trotzdem ist Wolfsburg in der Chancenverwertungsquoten- Tabelle auf Platz eins geklettert.
Teil zwei des Ballwanz-Satzes: „Wir stehen kompakt.“ Übersetzt: Aus der Abteilung Defensive befinden sich grundsätzlich so viele Spieler in Ballnähe, daß der Gegner das Tor kaum noch sieht, geschweige denn trifft. Bei den jüngsten drei Spielen innerhalb einer Woche kassierte Wolfsburg nur einen Gegentreffer – durch einen Foulelfmeter, gegen den auch die dichteste Kompaktheit nicht hilft. Womit wir bei dem Ballwanz-Abschnitt „dem Gegner schwermachen“ wären. Primäres Ziel der Wolfsburger Art, Fußball zu spielen, ist die Sicherung des eigenen Tores. Auch daheim. Der Siegtreffer gegen München 1860 fiel nach einem Konter, was für Wolf eine gewisse Zwangsläufigkeit hat, „weil Geduld belohnt wird“.
Eine besondere Fähigkeit des VfL-Teams ist es, auch dann noch Konter fahren zu können, wenn der Gegner mauert. Dem Saisonziel des Trainers, der sein Team „spielerisch weiterentwickeln“ wollte, läuft das zwar eigentlich entgegen, aber weil die Wahrheit nunmal in der Tabelle liegt und nicht auf dem Platz, ist das nicht so wichtig. Ballwanz, letzter Teil: „...wenn es bei uns nicht so läuft.“ Die drei Siege in einer Woche waren keine fußballerischen Glanzlichter, wie sie der VfL in dieser Saison schon gesetzt hat – zuletzt etwa beim 4:1 gegen den HSV Anfang März. Beim Dienstags-1:0 in Frankfurt bot Wolfsburg sogar eine der schwächsten Saisonleistungen, die aber immer noch für eine fundamentale Erkenntnis gut war: „Wenn man solche Spiele gewinnt“, grinste Manager Peter Pander hinterher,„kommt man auch in den Uefa-Cup.“
Offensichtlich war es diese Erkenntnis, die die Wolfsburger nun ganz offen vom Ziel Europa reden läßt. Weil es beim VfL seit dem Verlassen der Drittklassigkeit vor sieben Jahren aber fast immer konsequent nach oben ging, muß Manager Pander jetzt schon Fragen nach dem vierten Platz (Champions-League-Qualifikation) beantworten. Immerhin ist der Abstand dorthin so gering, daß er an einem Spieltag wettgemacht werden könnte. „Das ist Unsinn“, sagt der Manager,„wir beschäftigen uns nur mit dem sechsten Platz, alles weitere ist unrealistisch.“ Die Bescheidenheit ist also immer noch da. Nur eben auf höherem Niveau. Andreas Pahlmann
1860 München: Hofmann – Vanenburg – Kurz, Gorges (83. Bender) – Cerny, Zelic (87. Hobsch), Borimirow (83. Malz), Cizek, Heldt – Winkler, Schroth
Zuschauer: 15.909; Tor: 1:0 Nowak (76.)
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