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Herr der Ringe

Eine lauwarme Rock-'n'-Roll-Hölle steckt in jedem Wohnzimmer, und dort läßt sich gut munkeln und schunkeln: Der immer noch recht stämmige Meat Loaf tat im Velodrom alles für die Liebe und schmachtete triefende Rockballaden  ■   Von Stefan Schmitt

Ein Mädchen um die Zwanzig zündet Wunderkerzen an, verteilt sie an ihre Clique. „And I would do anything for love ...“ Die Zeile ist noch nicht verklungen, da reißen herangeeilte Ordner die kleinen Funkensprüher wieder runter und treten sie aus. Feuer ist im Velodrom nicht erlaubt, nur buntes Licht. Eine ältere Frau hat eine Lampe mit kleinen bunten Glasfasern am Ende mitgebracht, wie man sie auf der Kirmes kaufen kann. Die darf anbleiben, wenn Meat Loaf singt.

Am Sonntag abend gastierte ermit dem neuen, allzeit aktuellen Album „The very best of“ in der Radsporthalle. Der Mann ist ziemlich fett, spielte in der Rocky Horror Picture Show den Motorradboten Eddie und verkaufte 30 Millionen Exemplare seiner Debüt-LP „Bat out of Hell“ – eines der erfolgreichsten Alben der Plattengeschichte. Meat Loafs Musik, Melodik-Rock-'n'-Roll und triefende Rock-Balladen, verpackt in Koketterie mit Liebe, Hölle und Fledermäusen, taucht regelmäßig in irgendwelchen Charts auf – „Das Allerbeste davon“ klingt doch vielversprechend.

„No matter what“ eröffnet pünktlich um neun das Konzert. Meat Loaf sitzt auf einem Pappmaché-Felsen und schmachtet das Stück in sein Funkmikro. Hinter ihm ein in fluoreszierenden Farben bemalter Vorhang in einer Optik à la Herr der Ringe: Uralte Bäume mit Rindengesichtern strecken ihre Ast-Klauen in Richtung Bühne aus.

Beim nächsten Lied Stroboskope von hinten, die Umrisse der Band zeichnen sich gegen den bemalten Stoff ab. Der Vorhang fällt, Meat Loaf läßt sich eine Gitarre umschnallen. Es ist noch ein weiter Weg bis zum Finale mit einer aufblasbaren Fledermaus, die riesengroß hinter dem Schlagzeug mit roten Augen blinkt.

Der schwarzgewandete dicke Mann mit dem aufgeplusterten Gesicht braucht drei, vier Songs, bis er seine Stimme im Griff hat, das Altern hinterläßt auch bei ihm Spuren. Seine Band „Neverland Express“ sorgte für den zugehörigen Klangteppich aus Keyboards und bombastischen Powerchords und bewies, daß das alte Hausrezept immer noch ankommt: Gut gemischt heißt immer zwei schnelle und ein langsames Lied.

Im Publikum waren korrespondierend dazu die Ordnungsprinzipien Schunkeln und Klatschen. Bei den bösen Liedern die Hände zusammenschlagen, bei den guten die Liebste umklammern. Ein Mann mit Vorne-kurz-hinten-lang-Frisur und Ohrring knuddelt nach jedem Lied eine wasserstoffblonde Frau mit kleinen Dauerwellen und großer Gürteltasche. Ein etwa Fünzigjähriger hat sich den Pulli mit Zopfmuster um die Hüfte gebunden und spielt Luftgitarre. Eine Mutter beobachtet ihre Tochter, die jede Zeile jedes Liedes mitsingen kann.

Das Tourplakat mit Fledermaus und Höllenfeuer ist Kitsch, aber nicht Programm. Vielmehr lautet die Botschaft, daß die lauwarme Rock-'n'-Roll-Hölle in jedem Wohnzimmer steckt: Ein beleibter häßlicher Mensch jenseits der Fünfzig bewegt sich ungelenk und rockt trotzdem. Die alles andere als jugendlich frische Sängerin strahlt so etwas wie Hausfrauen-Erotik aus. Schließlich verrät Meat Loaf, daß die zweite singende und tamburinschlagende Frau seine Tochter Pearl ist: Das Konzert als Fortsetzung des Familienausflugs mit anderen Mitteln.

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