: Eine Weltmacht von gestern
Benfica Lissabon hat sportliche und finanzielle Probleme. Wenn Jupp Heynckes den Verein wieder groß machen will, muß er erst verstehen, wie er tickt ■ Aus Lissabon Ole Schulz
Krieg der Benfiquistas!“ und „Laßt uns in Frieden!“ Die Schlagzeilen, die die Sportgazette A Bola täglich über die heikle Situation Benfica Lissabons liefert, lesen sich wie ein billiger Politkrimi. „Dissidenten“ schimpft da Benfica-Präsident João Vale e Azevedo jene Vereinsmitglieder, die mit der Politik des Präsidiums nicht einverstanden sind.
Falls der Mönchengladbacher Fußballtrainer Jupp Heynckes (53), wie der kicker meldete, tatsächlich am 1. Juli beim portugiesischen Traditionsverein antritt, dürfte sein Job ähnlich aufreibend werden wie zuvor bei Real Madrid. Zum Glück für den spanienerfahrenen Heynckes wird er sich wenigstens besser verständigen können als sein ungeliebter Vorgänger Graeme Souness: Der raubeinige Schotte könne noch nicht einmal „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“, heißt es. Seine Ausdrucksweise und sein Benehmen wären eine Schande für das Empire, schrieb die englischsprachige Weekly News. „Je eher Souness Portugal verläßt, um so besser.“
Lissabon, Frühjahr 1999: Die Hektik der Expo vom letzten Jahr hat sich gelegt, und der Tejo ist immer noch so breit, daß man denkt, das Meer liege einem auf beiden Seiten zu Füßen. An der Wand der schlichten Barockkirche Santo Antonio da Se in Alfama, dem verschlungensten und ältesten Viertel der Stadt, steht in Schreibschrift in deutschen Worten ein merkwürdiger Graffito geschrieben: „Mit Kirchen läßt sich viel Geld machen, darum pflegt ihr sie wie Huren.“
Die Hure, die im nostalgischen Lissabon am meisten geliebt wird, ist mit Sicherheit Benfica. Obwohl „a grandeza“, die große Zeit des Vereins, vorüber ist, in der man 1961 und 1962 zweimal den Europacup der Landesmeister holte, ist Benfica der beliebteste Verein Portugals geblieben. Mit A Bola verkauft sich eine Zeitung über 130.000 Mal am Tag, die von den neuesten Gerüchten über Querelen bei Benfica lebt.
Stoff für Klatsch und Tratsch gibt es zur Zeit genug: Der 30malige Meister ist sportlich wie finanziell in einer ziemlich prekären Lage. Der FC Porto hat Benfica längst den Rang als portugiesischer Spitzenverein abgelaufen: Der ewige Konkurrent aus dem industriellen Norden steht kurz davor, zum fünften Mal hintereinander Meister zu werden. Nach dem 1:2 am Wochenende in Braga ist Benfica nur dritter, vier Punkte hinter dem zur Champions League berechtigenden Platz zwei. „Wir sterben nicht ohne die Champions League“, behauptet Vale e Azevedo zwar – weil Benfica seit Jahren hochverschuldet ist, glaubt das außer ihm kaum einer.
Um die Schuldenlast ein wenig zu verringern, hat das Präsidium nun einige Grundstücke rund um das altehrwürdige Estadio da Luz verkauft – und dabei leider vergessen, die Zustimmung der Mitglieder einzuholen. Von denen gibt es rund 80.000, und seit das Stadion im Schweiße des Angesichts vieler Mitglieder Anfang der 50er Jahre aufgebaut wurde, haben sie ein Mitspracherecht. Wenigstens formal. Es sollen vor allem Vorstandsmitglieder sein, die sich regelmäßig in der Vereinskasse bedienen. Der Präsident Vale e Azevedo sei „jemand, der Liebe predigt und Haß verbreitet“, sagt Martins Morim (48), Redakteur bei A Bola. Der junge Rechtsanwalt verspreche viel, aber: „Benfica ist wie eine große aristokratische Familie, nur die Schubladen sind inzwischen leer.“
Obwohl Lokalrivale Sporting in der Salazar-Ära viel mehr der Verein der herrschenden Elite war, sei auch die erfolgreiche Benfica „objektiv“ geschützt worden. Der Klub, sagt Morim, verkörpere die „Widersprüche des kleinen Portugals“, einer am Rande des Kontinents gelegenen einstigen See- und Kolonialmacht, deren große Zeit vorbei ist.
Eine Nation mit kaum mehr als 10 Millionen Einwohnern, die sich „in Zeiten der Globalisierung der Gedanken“ der Welt öffnet. „Benfica verstand sich immer als durch und durch portugiesisch, obwohl es Spieler aus den afrikanischen Kolonien waren, die den Verein groß gemacht haben.“ Denn der Aufstieg begann erst, als Benfica 1950 durch Afrika getourt war und gegen eine Auswahl von Lourenço Marques sensationell mit 1:3 verlor. Die zwei überragenden Spieler des Gegners aus der Hauptstadt Moçambiques wurden sofort mitgenommen, wenig später folgte ein schüchterner Jüngling namens Eusebio, der Rest ist Geschichte. Schließlich kam die Revolution, und die Kolonien nabelten sich Mitte der 70er ab – seitdem hat Benfica nicht mehr viel gewonnen.
Heute wirft man Graeme Souness vor, daß er zuwenig Portugiesen spielen lasse – und zuwenig portugiesischen Fußball, jenes technisch versierte Kombinationsspiel, das das Nationalteam pflegt. Doch zumindest bei Benfica haben Trainer mit harter Hand Tradition: Den Anfang machte 1949 Ted Smith, ihm folgten Jimmy Hagan, Johnny Mortimore und in den 80ern Sven-Göran Eriksson, der sein Systen „Druck mit Unterstützung“ nannte. In diese Ahnengalerie sollte sich auch Heynckes einreihen können. Der kann bei aller Taktik auch schleifen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen