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240 Schüler baden in der deutschen Sprache

■ Eine zweisprachige Grundschule bekämpft die englischsprachige Monokultur in den USA

Washington (taz) – Helene Zimmer-Loew ist angriffslustig wie eine Stierkämpferin. Die Frau im roten Kleid, Vorsitzende des Deutschlehrerverbandes in den USA, hämmert den versammelten Bildungsexperten ein, sie müßten „um jeden Schüler kämpfen, der hier in den Staaten Deutsch lernt“.

Viel Hoffnung macht Zimmer- Loew der Runde, darunter auch Gäste auch Deutschland, dennoch nicht. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Zahl der Deutschlernenden eng begrenzt: Gerade drei Prozent der High- School-Schüler belegen Deutsch. Mehr als die Hälfte der Mittelstufenschüler in den USA lernen überhaupt keine Fremdsprache. „Es ist eine Schande“, klagen Bildungspolitiker unisono.

Wenige Kilometer von Washington entfernt, in der Orange Hunt Elementary School von Springfield (Virginia), ist das anders. Fast jedes dritte der 800 Kinder an der Grundschule lernt Deutsch – parallel zur Muttersprache Englisch. „Das ist der einzige Weg, diese Kultur zu ändern“, sagt Janet Barbee fröhlich. Die Direktorin zieht es vor, utopisch zu denken – und sucht nach überzeugenden Gründen fürs Deutschlernen. Sie findet es einfach wichtig, „daß meine Schüler eine zweite Sprache lernen“. Für den Kopf, für den Beruf, fürs Leben.

Von der Decke der ersten Klasse baumelt ein Schild mit der Aufschrift „Wir sprechen Deutsch“. Ein Plakat wirbt für das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim, und die Erstkläßlerinnen Katherine und Aimee haben kein Problem, eine kleine Konversation auf Deutsch zu führen. „Ich heiße Katherine und bin sechs Jahre alt“, sagt das Mädchen akzentfrei und stellt damit den deutschen Sprachschatz von 90 Prozent der US-Amerikaner bereits in den Schatten.

„Sprachbad“, so heißt das Konzept des zweisprachigen Unterrichts in Washingtons Nachbarschaft. In Mathematik, Wissen und Gesundheit benutzen die 240 Schüler die deutsche Sprache. Eigenen Fachunterricht in Deutsch gibt es nicht. „Die Schüler sollen die Sprache nur aus Freude lernen“, sagt Anna Cramer-Mehnert. Sie ist die Fachberaterin für die Deutschlehrer im ganzen Nordosten der USA.

Daß den Ausnahmeschülern das Deutschsprechen Spaß macht, ist unüberhörbar. Teenie Anthony freut sich schon auf den nächsten Besuch in Schwäbisch Hall, wo seine Großmutter lebt. Und auch die neunjährige Emily, die noch nie in Deutschland war, hat Spaß am Gespräch mit den Gästen aus Deutschland. Die treibende Kraft hinter dem Sprachinteresse in Springfield aber sind ganz offenbar die Eltern. Viele von ihnen waren mit der Army in Deutschland. Oder sie rechnen sich zur diplomatischen Klasse der Hauptstadt – wo man, anders als sonst in Amerika, wenigstens ab und zu eine fremde Sprache beherrschen muß.

Kaum einer der rund 200 Millionen US-Amerikaner lebt an der Grenze zu einem Land, in dem nicht Englisch gesprochen wird. Und denen, die das Land tatsächlich mal verlassen, geht es wie dem jungen Senator Charles Carter aus North Carolina: Sie erleben, wie sehr ihre Kultur und Sprache die Welt dominiert. „Ihr seht unsere Filme dort drüben“, erinnert sich Carter an seine Kinobesuche während des Studiums in Spanien. „Wissen Sie“, erklärt Senator Carter, der selbst Lehrer ist, „die Leute haben gar kein Interesse, eine andere Sprache zu lernen.“

Der zehnjährige Matthew Miller konnte schon ein bißchen Deutsch, ehe er die erste Klasse in Orange Hunt besuchte: „Meine Großmutter ist aus Deutschland.“ Herkunft – das ist das einzige, worauf sich die Propagandisten des Deutschen berufen können. 24 Prozent der Amerikaner betrachten sich als Nachkommen deutscher Vorfahren. Das hat Helene Zimmer-Loew beim Studium von Umfragen herausgefunden. Und nun rät sie den selbsternannten Deutschamerikanern, ihre Wurzeln beim Deutschlernen zu suchen. Christian Füller

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