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Unterm Strich

Christoph Schlingensief verläßt die Berliner Volksbühne. Nach inzwischen sechs Jahren, in denen sein aktionistisches Polit-Theater (“Kühnen 94“, „Rocky Dutschke“) unaufhaltsam in theatralische Politaktion übergegangen ist (“Chance 2000“), erscheint das zunächst als bemerkenswert konsequenter Schritt auf einem way of no return. Ein Theaterregisseur, der seiner eigenen Inszenierung erst die Dekoration entzieht und sie dann gänzlich in eine Diskussionsveranstaltung überführt, wie Schlingensief das mit seiner „Berliner Republik“ gemacht hat, ist dem alljährlichenWettlauf um eine Nominierung zum Theatertreffen ohnehin verloren.

Andererseits fragt man sich natürlich, ob es jenseits des Funktionärswesens nicht nur Niemandsland ist, das einen Künstler auf der anderen Seite der Rampe erwartet. Wird der gewitzte Medienkünstler Christoph Schlingensief in Zukunft auf der Ebene von Ben Wargins „Parlament der Bäume“ operieren? Oder was hat man sich konkret darunter vorzustellen, wenn der Volksbühnenintendant Frank Castorf am späten Dienstagnachmittag öffentlich erklärt, daß sein Theater (ein Staatstheater) zwar „im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland weiterhin bereit ist, Flüchtlinge aus dem Kosovo bei sich aufzunehmen“, sich aber auch der täglichen Arbeit am Spielplan widmen müsse. Daß aber „unser Hausregisseur Christoph Schlingensief ... angesichts der Tatsache, daß Deutschland unter der Regierung Schröder sich an einem Angriffskrieg gegen Jugoslawien beteiligt ..., seine Kraft ... voll in die Fortführung dieser politischen Initiative investieren will ...“?

Schlingensief, der neue Aktivposten beim Berliner Verein Südosteuropa? Eine tätige Kraft der Roten Kreuzes? Denn eine öffentlichkeitswirksame Rolle als Subcomandante Marcos der real existierenden Berliner Republik oder, bescheidener, Mutter Teresa der Flüchtlingslager, ist für einen Privatmann Schlingensief (und um seinen Abschied von der Volksbühne handelt es sich hier schließlich) nicht denkbar.

Gerade die Irritation ist es ja, die die Fernsehsender letztes Jahr zum Wahlkampfzirkus in den Berliner Prater trieb. Die konzeptionelle Zweckentfremdung von Theatersubventionen. Die entwaffnende Frechheit, als Künstler Politik zu beschleunigen (Überlebenshilfe am Hamburger

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