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Konter-Doofe im Euro-Fieber

Das 4:1 von Hertha BSC gegen den VfL Bochum läßt die Hauptstadt von der Champions League träumen, nur Trainer Jürgen Röber bleibt weiter realistisch  ■ Aus Berlin Klaus Nothnagel

Was macht einen Haufen teils guter, teils weniger guter Fußballspieler zu einer funktionierenden Mannschaft? Die Antwort, die Hertha-Trainer Jürgen Röber sich wahrscheinlich so oder ähnlich nach dem 4:1 gegen den VfL Bochum geben würde, ist teilweise unbefriedigend, dafür aber auch für andersartige Kollektive (Bands, Theater-Ensembles, Vereine aller Art) gültig: Erstens die Zusammensetzung der Charaktere, also die richtige Balance aus Gegensätzen und Ähnlichkeiten; zweitens die psychologisch haarfeine Führung durch Trainer und Rasen-Leitwolf; drittens das langweilige alte „Üben, üben, üben“ und viertens, wie im Film „Shakespeare in Love“ der Produzent übers Funktionieren eines Theater-Ensembles zu sagen pflegt: „I dont know – it's a mystery!“

Was Hertha BSC zur Spitzenmannschaft noch fehlt, ist leicht zu sehen: Ilja Aracic und Pjotr Reiss, sind mit ihren 28 und 26 Jahren beide keine Frischlinge mehr; ob sie noch zu Torjägern werden, ist zweifelhaft. Andererseits konnte schließlich auch Preetz den Status des Zweitliga-Heroen (den Aracic und Reiss jetzt noch haben) gegen den einer verläßlichen Erstliga- Größe eintauschen. Preetz selbst durfte gegen Bochum, wie schon öfter, die Schattenseite seines Ruhms erfahren: Man stand ihm klebrig auf den Stiefeln und sägte ihn bei jeder zweiten Ballannahme unerbittlich um – und das Kunststück, bei engster Deckung die einzige Chance, die sich auftut, kalt zu nutzen, gelingt eben selbst Preetz nicht jedes Mal. Bryan Roy, der sich gerade anschickte, zum Saisonfinale endlich ein entscheidender Spieler zu werden, fällt mit Achillessehnen-Anriß einstweilen aus: ein Pech, das Jürgen Röber in der Pressekonferenz zur mißbräuchlich-theaterwissenschaftlichen Kategorisierung „tragisch“ hinriß. Andy Thom schließlich ist eine verläßliche Größe, rennt immer noch wie angestochen und hat den Verstand für überraschende Spielzüge; ein oder zwei Spielzeiten kann er noch wichtig sein für die Hertha.

In der Abwehr stehen mit Rekdal, Sverrisson und dem wechselhaften, aber spielerisch wachsenden van Burik zwar drei gute bis sehr gute Leute, alle drei auch mit gewissen Offensivqualitäten. Was noch fehlt, ist mindestens ein Spieler der Jürgen-Kohler-Klasse – der wäre ja mit Rehmer demnächst in Sicht. Hendrik Herzog ist, trotz seines gerammten Kopfballtors gegen Bochum, eher kein Mann für Europacup-Einsätze: Obwohl er unbestreitbare Zerstörer- und Zermürber-Qualitäten hat, wirkt er oft so, als brauche er beide Beine schon allein, um nicht umzufallen – womit soll man da noch Fußball spielen? Und Gabor Kiraly jagte gegen Bochum einen Ball, den er mit dem Fuß spielen mußte, unbedrängt senkrecht in die Luft; einen anderen spielte er seinem Feldspielerkollegen so tölpelhaft zu, daß der ihn gerade noch im Spurt erreichen konnte. So groß Kiralys Verdienste in dieser Saison sind, die Pannen, die er gelegentlich produziert, werden im europäischen Geschäft schneller und härter bestraft als von Krautertruppen wie Bochum!

Abgesehen von individuellen Schwächen haben die Berliner auch noch ein mannschaftliches Defizit: Hertha kann nicht kontern. Bochum bot durch Ballverluste an der Mittellinie jede Menge Gelegenheit: Hertha aber ist konter-doof, nix zu retten, völlig stulle! Trainer Röber auf Anfrage in der Pressekonferenz: „Da haben Sie sicher recht, da sind noch Defizite!“ Ein arger Euphemismus, „Defizite“: da ist fast gar nichts an Fähigkeit! Es gibt Spiele, in denen nur zwei-, dreimal die Chance zum Kontern kommt, die aber überhaupt nur durch Konter zu gewinnen sind!

Dennoch liegt Berlin im Eurocup-Fieber. Trotz des dritten Platzes, den Hertha jetzt für eine Woche besetzt, redet Jürgen Röber selbstverständlich nicht von der Champions League – und es verrät keine Koketterie, nur Realismus und Augenmaß, wenn ein Herthaner sagt, in der europäischen Königsklasse habe man nun wirklich noch nichts zu suchen. „Wir wissen doch, wo wir hier leben“, sagt Röber – die Hysterie der Berliner Lall-Presse beeindruckt ihn nicht. Mag Bild noch so sehr in Richtung Champions League hysterisieren: Röber wäre, so vermute ich, schon hochzufrieden, wenn die Berliner dieses Jahr eine Übungsrunde im Uefa-Cup drehen und dann im nächsten Jahr das gleiche Kunststück noch einmal schaffen würden.

Und dann? Wenn man schon für die nächste Saison erstklassige und nicht ehemals erstklassige Spieler (z.B. Christian Ziege) dazukauft, ist fast alles möglich.

VfL Bochum: Ernst – Kracht – Waldoch, Sundermann – Zeyer (73. Gaudino), Fahrenhorst, Schindzielorz (67. Peschel), Toplak (46. Kuntz) – Michalke – Buckley, Mahdavikia

Zuschauer: 45.646; Tore: 1:0 Wosz (11.), 2:0 Herzog (18.), 3:0 Hartmann (36.), 3:1 Buckley (72.), 4:1 Wosz (80.)

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