: Noch 99 Jahre bis zum nächsten Sieg der Sechziger
■ Das 1:1 gegen einen müden FC Bayern im Münchner Derby läßt 1860-Präsident Wildmoser die Realität aus den Augen verlieren und weiter von einer europäischen Zukunft träumen
München (taz) – Der Besitzer der Karte mit dem Aufdruck Z1, Reihe 40, Platz 11 darf im Münchner Olympiastadion auf der Haupttribüne Platz nehmen. Allerdings nicht dort, wo Vereinspräsidenten wie Franz Beckenbauer oder Karl-Heinz Wildmoser größtmögliche Beinfreiheit genießen, und auch nicht dort, wo Tennisspieler Boris Becker seinen Sohn Noah auf den Schoß nimmt. Nein, im Block Z1 besetzen gewöhnliche Dauerkartenbesitzer und altgediente Anhänger die grünen Hartschalensitze. Leute wie Johann Graf, seit 35 Jahren Mitglied beim TSV 1860 München. Und Mario Basler.
Mario Basler saß abseits beim 189. Münchner Stadtduell. Mal wieder. „Er hat's im Kreuz“, meldete sein Manager und Freund Roger Wittmann, doch es scheint, daß Mario Basler es eben nicht im Kreuz hat, wenn es um beständiges Fußballspielen auf hohem Niveau geht. Am Mittwoch hatte der exzentrische Fußballspieler den FC Bayern noch in das Finale der Champions League gezirkelt, am Sonntag betrachtete er das 1:1 gegen 1860 München aus sicherer Entfernung. Immerhin freute sich 1860-Anhänger Johann Graf über seinen prominenten Nachbarn: „Ich hab' nichts gegen den Mario.“ Bei den Verantwortlichen des FC Bayern scheint das anders zu sein. Manager Uli Hoeneß schlägt spöttische Töne an, um Baslers Ausfall zu erklären. „Der hat sich am Mittwoch so überanstrengt, daß er heute verletzt war.“
Überanstrengt wirkten auch die Bayern-Spieler ohne Malaise. „Das ist normal, wenn man so ein Champions-League-Spiel hinter sich gebracht hat“, erklärte Präsident Franz Beckenbauer. Weil der FC Bayern seinen sportlichen Höhepunkt bereits vier Tage zuvor setzte und der TSV 1860 seit acht Spielen im Tief kickt, war es diesmal für 69.000 Zuschauer ein Derby auf bescheidenem Niveau. Nur zeitweise profitierten beide Teams von den Fehlern des anderen, und Stefan Effenberg nahm sich eine nahezu 90minütige Auszeit. „Wir haben gewußt, daß die Bayern noch müde waren“, sagte Trainer Werner Lorant, „deshalb wollten wir in der ersten halben Stunde in Führung gehen.“ Das gelang nicht, dafür erledigte Markus Babbel das mit der Führung eine Viertelstunde vor Schluß für den FC Bayern. Es drohte zu werden, wie schon oft. Doch dann steckte 1860-Verteidiger Marco Kurz seinen Kopf in die Flugbahn eines Eckball und versöhnte viele Fans der blauen Münchner.
Allen voran den Präsidenten. „Wie unsere Mannschaft dem großen FC Bayern Paroli geboten hat, das war schon sensationell“, sagte Karl-Heinz Wildmoser in einem Anflug von Realitätsverlust. Besser schätzte Kapitän Bernhard Winkler die Lage ein: „Das war ein kleiner Schritt nach vorne.“ Wenigstens nicht verloren wie in den letzten fünf Partien. Sieben Zähler fehlen den Sechzigern auf einen Uefa-Cup-Platz, doch Wildmoser gibt den Kampf nicht auf. „Wir müssen darauf hoffen, daß die Mannschaften vor uns noch einmal nachlassen“, sagt der Chef der Löwen. Was Wildmoser für die letzten sechs Spiele hoffen läßt, gibt Hoeneß Siegesgewißheit. Acht Punkte vor Leverkusen führt Bayern die Tabelle an: „Ich weiß wirklich nicht, was noch schiefgehen soll“, sagt der Manager.
Zumal auch gegen den Nachbarn von der anderen Seite der Grünwalder Straße nichts schiefging. Dieser hatte eigentlich pünktlich für den Tag, an dem die Fußballabteilung ihren 100. Geburtstag feierte, den ersten Erfolg über die roten Münchner seit 22 Jahren versprochen. Doch wieder nichts. Aber hatte nicht Franz Beckenbauer schon vor dem 188. Stadtduell gesagt: „Wenn Sechzig diesmal nicht gewinnt, dann gewinnen sie in 100 Jahren nicht mehr.“ Seht das doch positiv, liebe Löwen: Jetzt fehlen nur noch 99 Jahre bis zum nächsten Sieg über den FC Bayern. Benedikt Voigt
Bayern München: Kahn – Matthäus – Babbel, Linke (65. Helmer) – Strunz, Jeremies, Effenberg, Tarnat – Scholl (74. Daei), Jancker, Salihamidzic (85. Zickler)
Zuschauer: 69.000; Tore: 0:1 Babbel (75.), 1:1 Kurz (89.)
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