■ Surfbrett: Das Recht auf den Wahnsinn online
Klaus Graf, Helmut Sasse und Jürgen Graf vergeben seit Sommer 1997 jeden Monat einen Preis für den größtmöglichen Blödsinn im deutschsprachigen Web. Der Preis heißt „Pfeife des Monats“ und ist auf jeden Fall eine Reise mit der Maus wert. Denn Humoristen, wie sie die drei Herren sein wollen, sitzen in einer dialektischen Falle. Sie wollen sich mindestens lustig machen über die Unfälle beim Bedienen von HTML-Editoren, die ihren Zeitgenossen gleich serienweise widerfahren, wenn nicht mehr. Aber indem sie das tun unter members.xoom.com/ _XOOM/ dpdm/ index.html, müssen sie auf das Objekt ihres Hohns hinweisen, und danach sehen sie oft ein wenig altbacken und griesgrämig aus. Tatsächlich ist das Jurorentrio kein bißchen komisch, seine Preisträger dagegen entpuppen sich gelegentlich als wahre Genies des schlechten Geschmacks. Manchmal sind sie auch dem schieren Wahnsinn nahe wie etwa Lutz Fehling aus Kiel, der für seine Homepage die Pfeife des Monats für den März erhalten hat. Fehling stellt unter www.toppoint.de/~lutz/ mörderische 200 Kilobytes Text nebst einigen Fotos im Großformat am Stück ins Netz. Um Links und dergleichen schert er sich nicht. Er erzählt statt dessen selbsttherapeutisch hemmungslos, was ihn im Innersten bewegt. Mollys Monolog am Ende des „Ulysses“ ist eine lahme, literarisch bereinigte Fingerübung dagegen. Man muß das nicht lesen, man kann es gar nicht lesen, Fehlings Irrsinn hat aber sogar das Humoristentrio so sehr beeindruckt, daß sich sich Webrichter Jürgen Graf zu dem Satz hinreißen ließ, selbst diese Homepage könne ihn nicht von der Überzeugung abbringen, das Internet sei eine soziale und demokratische Errungenschaft, insofern es nämlich wirklich jedem die Möglichkeit einräume, sich „einem Millionenpublikum zu präsentieren“. Wohl wahr, nur ist das kein Anlaß zur Satire, sondern zur Hoffnung. niklaus@taz.de
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