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Der Arm der Generäle

■ Die Justiz Chiles zensiert Verlage und Buchläden – jetzt auch das Internet

Auf dem Titelblatt sitzen die drei Affen, die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Es hat ihnen nichts genützt. Bereits einen Tag nachdem das „Schwarzbuch der chilenische Justiz“ der Journalistin Alejandra Matus in den Buchläden des Landes auslag, war es auch schon wieder weg. Zensiert. Eine Richterin leistete damit der Beschwerde des ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts, Servando Jordan, Folge, dem es nicht gefallen hatte, wie er in dem Buch dargestellt wurde: Als Säufer, der seinen juristischen Pflichten nicht nachkommt. Noch am selben Tag stürmte die Polizei das Lager des Verlages Planeta und beschlagnahmte das Buch in den Läden. Abgeordnete, Schriftsteller und Juristen protestierten ohne Erfolg.

Doch wenige Tage danach tauchte das Schwarzbuch im Internet auf. Die Tageszeitung La Tercera (www.tercera.cl) hat den Text in Absprache mit dem Verlag Planeta auf einen Server im US-Bundesstaat Washington unter www.tercera.com/libronegro gelegt, die Domain-Endung „cl“ für Chile wurde gegen „com“ getauscht, um der Zensur zu entgehen und strafrechtliche Folgen abzuwehren.

Mehr als 85.000 Internetnutzer klickten die Adresse an. Danach war das Schwarzbuch auch aus dem Netz verbannt. „Nach einer Übereinkunft mit dem Verlag Planeta stellen wir die Veröffentlichung dieser Publikation ein“, heißt es jetzt unter www.tercera.com /libronegro. Kein weiterer Kommentar. Die Website von Tercera bietet zwar eine dicke Materialsammlung zur Festnahme des Ex-Diktators Augusto Pinochet in London an (www.tercera.cl/casos/pinochet/ index.html). Nur ein Hinweis auf das Schwarzbuch ist nicht zu entdecken, dafür aber eine Anzeige samt Link zur juristischen Zeitschrift „Info Ley.“ (www.infoley.cl). Die Zeitschrift wirbt mit den Worten: „Ein Produkt für Juristen, Anwälte, Institutionen und andere, die juristische Informationen brauchen.“

Daß ein Gericht Bücher aus den Läden und Bibliotheken verbannen kann, hat in Chile Tradition. In dem Schwarzbuch der Journalistin Alejandra Matus sitzt das Rechtssystem des Landes auf der Anklagebank: ein korrupter Apparat, der während der Diktatur außerstande war, sich für die Menschenrechte einzusetzen. Er war teil des Regimes. Und noch heute gewährleisten spezielle Militärgerichte, daß kein ehemaliger Angehöriger des Unterdrückungsapparates der Militärregierung verurteilt wird. Denn für Anklagen von Mitglieder der Streitkräfte ist die Militärjustiz zuständig. Und die will ihren besten Männern selbstverständlich nicht ans Leder.Ingo Malcher

ingo@ssdnet.com.ar

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