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Daumenkino

■ TGV Express

Auf der ganzen Welt geht es im ÖNV nie ohne die deutlichen Anweisungen des Personals: Nein, ruft Demba (Al Hamdou Traoré) seinen Passagieren zu – erst kommt das Gepäck auf das Dach des kleinen, alten Busses, dann die Ziegen. Demba ist Assistent von Chef Rambo (Makéna Diop), dem Fahrer des gelb-weiß-blauen „TGV Express“ mit der hoffnungsvollen Seitenaufschrift „Gott ist groß“ (was man angesichts der mit diesem Überlandbus offenbar schon heruntergefahrenen Kilometer gerne glauben will). Die Passagiere auf dieser Fahrt sind eine ausgesprochen disparate, einander wenig freundlich gesinnte Gruppe. Zwei mehr oder weniger heilige Männer nebst Begleitern, ein kiffender Ganove, eine ältere Frau, die in Conakry den Neuanfang probieren will, ein reicher Geschäftsmann, der sich mit seinen Ziegen eine weitere Ehefrau kaufen will, ein wortkarger, etwas mysteriöser Mann und ein junges, hübsches Mädchen vom Land sind in Dakar schon an Bord des „TGV“. Später steigen dann noch ein gerade entlassener Staatsminister („Wir haben Sie an Ihrer Krawatte erkannt!“) und seine aufgetakelte Ehefrau zu, und auch für sie gilt: Wer Ärger macht, fliegt raus!

Daß der senegalesische Filmemacher Moussa Touré für seinen Film die von John Ford einst für „Stagecoach“ bunt zusammengewürfelte Gruppe einfach übernimmt, funktioniert in „TGV Express“ hervorragend. Die auf den ersten Blick klischeehaft wirkenden Figuren erhalten schnell Tiefe. Den DarstellerInnen wie seiner cleveren Sozialkritik verdankt der Film viel von seinem Witz. Tourés freundliche, aber hintersinnige Skizze eines modernen Afrika kann nur deshalb so erfolgreich mit den Erwartungen der Zuschauer spielen, weil sein Ensemble selbstbewußt und treffsicher die Grenzen zwischen Komödie, Roadmovie, Sozialdrama und Western verwischt. Was in „TGV Express“ an die Exotik und Folklore eher kolonialistischer Afrikadarstellungen erinnert, benutzt Touré, der früher mit Truffaut, Tavernier und Ousmane Sembène arbeitete, für eigene Zwecke.

Später, mitten in der entlegensten Savanne, trifft der „TGV Express“ auf ein französisches Wissenschaftler-Paar. Sie sind keine bösen Rassisten, aber doch ignorant und arrogant genug, die Mitfahrgelegenheit als selbstverständlich zu betrachten und prompt die Führung übernehmen zu wollen. Doch als die Gruppe später auf Rebellen trifft, die einige der Reisenden als Geiseln festhalten wollen, erwarten die Franzosen besonderen Schutz. Die Afrikaner haben da etwas andere Vorstellungen ...

Zweifellos ist „TGV Express“ ein großartiger kleiner Film. Daß Tourés 1997 entstandener Film erst jetzt in unsere Kinos kommt, sagt viel über den afrikanischen Film in Deutschland. Doch besser spät als gar nicht.

Thomas Klein ‚/B‘ „TGV Express“, Moussa Touré, Senegal/F 1997, 90 Min.

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