: Neue Pläne dank Schweiß auf der Stirn
■ Klaus „der Patriarch vom Goetheplatz“ Pierwoß und Co. werden auch in der nächsten Spielzeit viel interessantes Theater machen / Neu: Schauspiel wird viel zeitgenössischer
Manche nennen ihn den Dicken, andere bezeichnen ihn mit einem Gemisch aus Respekt und Ironie als den Alten. Doch egal ob dick oder alt: King Klaus (Pierwoß) von und zum Goetheplatz, erster und oberster Patriarch der städtischen Bühnen hat gut lachen. Kurz vor Ablauf seiner ersten von bislang zwei fünfjährigen Amtszeiten als Intendant am Vier-Sparten-Theater wagt sich keiner dieser läppischen Politiker mehr an seinen Etat heran. Einnahmen und Besucherzahlen steigen – wenn auch leicht geringer – weiter. Die erste Bespielung des U-Boot-Bunkers „Valentin“ in Bremen-Farbe hat er nach durchwachten Nächten und mit Schweiß auf der Stirn auch durchgesetzt (vgl. Seite 37). Und den Abstieg Werder Bremens aus der ersten Fußballbundesliga wird er bestimmt auch noch verhindern.
In solch einer Position ist gut Späße machen. Zum Beispiel über die Kollegen vom Musicaltheater am Richtweg. „Eine geklonte und retortenhafte Kunst“ sei das. Und auch wenn die Bremen-Vermarkter nur für „Jekyll & Hyde“ in der Lage sind, über Nacht Hinweisschilder für das Musicaltheater aufzustellen, und dem Theater einen „Reklamephallus mit dem Kondom des Grauens“ zur Musical-Werbung vor die Nase setzen, fürchtet Pierwoß die Konkurrenz nicht: „Den Kollegen drüben haben wir geholfen, als sie uns darum baten. Und sie haben uns schon Karten zu reduzierten Preisen angeboten – umgekehrt haben wir das noch nicht nötig“, scherzt Klaus I. Und zumindest in einem Punkt hat so ein traditionelles Stadttheater den En-Suite-Bühnen etwas voraus: Es ist einfach viel abwechslungsreicher, was da geboten wird. Dieses nach Ansicht von Kultursenatorin Bringfriede Kahrs erfolgreiche Konzept durchzieht auch den gestern vorgestellten Spielplan für das sechste Intendantenjahr von Klaus Pierwoß.
Die markantesten Veränderungen kündigten Pierwoß und Co. für das Sprechttheater an. Nachdem mit den Neuen Joachim Klement, Bettina Schültke und Beate Heine gleich die ganze Schauspieldramaturgie neu besetzt ist, tauchen erheblich mehr zeitgenössische Stücke im Spielplan auf. „Die Arbeit mit zeitgenössischen Autoren und Texten ist unser gemeinsames Interesse“, sagt der neue Chefdramaturg und Nachfolger des ans Wiener Burgtheater wechselnden Joachim Lux, Joachim Klement. Einen Hausautor will sich das Trio aus der Dramaturgie künftig halten, Auftragswerke vergeben und internationale Literaturen vorstellen.
Diese zum Teil noch nicht finanzierten Projekte machen sich aber schon jetzt im Spielplan als Duftmarken bemerkbar: Das Stück „Mondkind“ der Bremer Autorin Vera Kissel wird im Brauhauskeller uraufgeführt. Stücke von jungen Wilden aus der Baracke am Deutschen Theater in Berlin (Alexej Schipenkos „Suzuki I + II“), aus Stuttgart (René Polleschs „Harakiri einer Bauchrednertagung“) oder aus Great Britain (Edward Thomas „Engel der Tankstelle“) kommen als Uraufführung heraus oder werden kurz danach bzw. als Deutsche Erstaufführung in Bremen gezeigt. Am Regiepult und auch ansonsten Kontinuität: Alte Bekannte wie Andrej Woron, Barbara Bilabel, Siegfried Bühr, Martin Meltke oder Konstanze Lauterbach inszenieren auch 1999/2000.
Nachdem unter den Schauspielregisseuren die Frauenquote schon quasi erfüllt ist, scheint sich jetzt auch das Musiktheater langsam daran zu machen. Rosamund Gilmore wird zum Spielzeitauftakt Richard Strauss' „Rosenkavalier“ inszenieren und entstauben. Sabine Hartmannshenn, die in Hamburg mit einem „Peter Grimes“ auf sich aufmerksam machte, sowie Gabriele Rech werden erstmals in Bremen Opern einstudieren. Die verschobene Uraufführung des Auftragswerks an Detlev Glanert „Joseph Süss“ ist jetzt für Mitte Oktober angesetzt. Goutierbare zeitgenössische Werke wie Antonio Bibalos „Fräulein Julie“ und eher selten aufgeführte Opern wie „Fausts Verdamnis“ von Hector Berlioz oder „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Ciléa charaktisieren den Spielplan. Und mit dem Musical „La Cage aux Folles“, das der „Cage aux Folles“-Entdecker Helmut Baumann inszenieren und in Hauptrolle spielen wird, findet sich auch ein kalkulierter Renner darin.
Im Tanztheater sind wieder zwei Neuinszenierungen geplant. Darunter Susanne Linkes den Plänen nach höchst interessantes und um ein Jahr verschobenes Penthesilea-Projekt. Das MOKS-Theater setzt unter seinem neuen Leiter Stefan Becker fünf Neuinszenierungen an. Die Themen Arbeitslosigkeit, Kriegs- und Fluchterfahrungen stehen im Mittelpunkt. „Das sind schwere Themen, aber wir werden nicht in Düsternis versinken“, kündigt der aus Kassel nach Bremen wechselnde Becker schon vorab an. ck
Die neue Schauspieldramaturgie sowie den Wechsel am MOKS-Theater werden wir noch ausführlich würdigen.
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