: Neue Dimension von Unrecht –betr.: „Blinde Entrüstung“, taz vom 27. 4. 99
[...] „Willst du den Frieden, bereite den Frieden mit gewaltfreien Mitteln vor.“ Diese Forderung wird doch nicht dadurch falsch, daß die Umsetzung nur von relativ kleinen Friedensgruppen versucht wurde. Seit zehn Jahren weisen sie auf den Konflikt im Kosovo hin – solange die Kosovo-Albaner gewaltfrei Widerstand geleistet haben, hat sich außer der Friedensbewegung niemand um sie gekümmert. Erst als die UÇK die Eskalation des Konflikts mitbetrieb, wurde der Koflikt wahrgenommen – zunächst übrigens überwiegend unter dem Aspekt „Vorsicht, da kommen Hunderttausende von Flüchtlingen auf Europa zu!“
Mit den Wortschöpfungen „Vertreibungskrieg“, „makrokriminell“, „Makroverbrechen“ wird suggeriert, daß wir es hier mit einer neuen Dimension von Unrecht zu tun haben. Damit wird von der Tatsache abgelenkt, daß erst durch den Abzug der OSZE-Beobachter (die übrigens nie in vereinbarter Anzahl stationiert worden waren) der Weg für systematische Massenvertreibungen und Kriegsverbrechen frei wurde. Diese Ansicht wurde unter anderem von einem Nato-Sprecher (der sicher keiner pazifistischen Blindheit verdächtigt werden kann) geäußert. Und wenn wir schon mal bei Tatsachen sind: „Dem Milovic-Regime ist es trotz aller Bedrängungen, Restriktionen und Rückschläge immer wieder gelungen, seine menschenverachtende Strategie weiterzuverfolgen und die Wahnidee eines ethnisch reinen Großserbien Wirklichkeit werden zu lassen.“ – Wo denn?
Die in Kroatien lebenden Serben sind inzwischen fast alle als Vertriebene in Serbien, die Republik Srpska ist nach wie vor Teil von Bosnien-Herzegowina, die Serben in Montenegro und Makedonien machen keine großen Anstalten, sich für die großserbische Idee in Konflikte zu stürzen. Miloevic muß sich sehr wohl um die öffentliche Meinung in seinem Land (und unter den Serben der Nachbarländer) kümmern. Die Friedensbewegung wirft den Befürwortern der Luftangriffe daher zu Recht vor, daß nicht alle friedlichen Mittel ausgeschöpft wurden. Ute Finckh, Berlin
Die 68er waren nicht gewaltfrei, dies ist sicher keine sehr neue Erkenntnis. Aber die Friedensbewegung ist in ihrer Gesamtheit wohl auch keine Marionette der DKP gewesen. Hier bedürfte es einer genaueren Analyse der verschiedenen, zum Beispiel christlichen, anarchistisch-gewaltfreien, pazifistischen, Ansätze. Aber müssen wir Deutschen deshalb heute in den gleichgeschalteten Jubel über die Nato-Einsätze einstimmen, weil die demokratischen Alliierten Deutschland von Hitler befreit haben? Wobei der Hauptträger des Krieges gegen Hitlerdeutschland, die Sowjetunion unter Stalin, wohl kaum ein Hort der Menschenrechte war. Und die Legende vom gerechten Krieg der westlichen Wertegemeinschaft ist doch spätestens seit Vietnam nicht mehr glaubhaft. Die Militärs und Politiker erklären sowieso nur, daß es gerade zu diesem Krieg keine Alternative gegeben hätte. Die OSZE-Mission, die nicht nur von Miloevic nicht gewollt wurde, war ein ausbaufähiger Ansatz in diesem Konflikt. Erst die Bomben der Nato haben es doch Miloevic ermöglicht, die massive ethnische Säuberung des Kosovo auch innenpolitisch so leicht durchzusetzen und zu legitimieren. Aber die Militärlogik begann ja schon, als die „westliche Wertegemeinschaft“ den gewaltfreien Rugova fallenließ und die UÇK aufrüstete.
Der Nato-Angriff ist unabhängig von der moralisch-pazifistischen Bewertung unter dem Aspekt der formulierten Ziele, nämlich den Völkern des Balkans Frieden und sichere Lebensverhältnisse zu bringen, dumm und unsinnig. Aber vielleicht haben die Bomben ja noch andere politische und geostrategische Gründe. Jörg Schmidt-Rohr, Mannheim
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen