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Ziellos in Swansea ■ Von Ralf Sotschek
Taxifahrer sind als Kolumnenthema eigentlich tabu, weil sie als „weiche Angriffsziele“ gelten. Der Kutscher, der mich vorige Woche im walisischen Swansea zu einem Interview fuhr, war jedoch ein besonderes Exemplar und verdient es, erwähnt zu werden.
Es fing damit an, daß er eine Viertelstunde vor dem falschen Haus wartete, was passieren kann. Doch es hätte ihn schon stutzig machen können, daß das Gebäude kein Dach hatte und zugemauert war. Als ich ihm mein Fahrtziel nannte, Pastoral Way, löste das bei ihm unvermutete Heiterkeit aus. „Pastoral Way“, wieherte er, „das ist gut. Das habe ich noch nie gehört.“ Und ich ließ die Gelegenheit, wieder auszusteigen, ungenutzt verstreichen.
Nachdem er sich bei seiner Zentrale nach der groben Richtung erkundigt hatte, beschloß er, einen Umweg zu fahren, um die steil zum Fluß abfallende Straße zu vermeiden – „sonst landen wir im Wasser“. Dann wäre mir einiges erspart geblieben. Statt dessen wies ich ihn darauf hin, daß er soeben in eine Sackgasse eingebogen war. „Ich denke, du kennst dich in Swansea nicht aus“, argwöhnte er. Ich sagte, die irischen Hinweisschilder seien den walisischen ziemlich ähnlich. „Na, du bist ja ein Schlaumeier. Wie war die Adresse noch mal?“ Ich buchstabierte sie ihm, und er versprach, sie für immer im Gedächtnis zu behalten, denn es könnte ja der unwahrscheinliche Fall eintreten, daß noch ein Kunde in den Pastoral Way wollte, und dann könnte er mit seinen Ortskenntnissen Eindruck schinden. Zwei Minuten später brach er wieder in Gelächter aus: „Petrol Way, drollige Adresse.“ Der Großmeister aller Irrfahrten hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß ich zur Uni wollte. Wollte ich aber nicht. „Doch“, beharrte er, „es gibt in dem Viertel gar nichts anderes als die Uni.“ Die lag zu seiner Überraschung aber nicht am Pastoral Way. „Die ganze Gegend ist neu hier“, sinnierte er. Stimmt, sie wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut.
Ich riet ihm, im Straßenatlas nachzusehen. „Gute Idee“, meinte er, „wie hieß die Straße doch gleich?“ Ich hatte sie ihm längst auf einen Zettel geschrieben, doch er fand den Pastoral Way nicht. „Vielleicht findest du ihn ja“, meinte er und reichte mir die Karte. Die breite Straße war nicht zu übersehen, aber das nützte mir gar nichts. Der Blindfisch studierte die Karte eine ganze Weile und fuhr den Pastoral Way mit dem Finger auf und ab, bis ich ihn bat, das Auto statt des Fingers zu benutzen. Da schlug er den Atlas zu, rollte das Fenster herunter und fragte einen Studenten nach dem Weg. Beim vierten Versuch erhielt er präzise Anweisungen: „An der Ampel rechts, am nächsten Kreisverkehr links, dann die zweite Straße rechts – das ist Pastoral Way.“ Mein Chauffeur bedankte sich artig, schloß das Fenster und grinste mich an: „Hast du irgend etwas davon kapiert?“ Wenigstens schaltete er vor der nun folgenden Irrfahrt das Taxameter aus.
Am Ende fand er die Straße dann doch noch. Inzwischen hatte er aber vergessen, welchen Fahrpreis das Taxameter angezeigt hatte, als er es ausschaltete. „Na, gib mir drei Pfund.“ Ich gab ihm fünf und bat ihn, nicht auf den Funkruf zu reagieren, wenn ich nach dem Interview in einer Stunde ein Taxi zum Pastoral Way rufen würde. „Wohin?“ fragte er.
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